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Ehen und andere Regelwerke

Ob Kaufkraft, Medien oder One-Night-Stands: Der Umgang mit der Freiheit führt zu verdammten Missverständnissen, zeigte das Festival Neuer Internationaler Dramatik an der Berliner Schaubühne

von ESTHER SLEVOGT

Am Ende stand eine große Debatte, zu der Sinnsucher in so rauen Mengen strömten, dass den Kartenabreißerinnen schließlich der Angstschweiß auf die Stirn trat. Selbst mit gültigen Tickets aber hatten einige keine Chance, in den Saal zu kommen, wo der slowenische Philosoph Slavoj Žižek mit Mathias Greffrath, Thomas Ostermeier und Jakob Augstein über die „kalte Freiheit“ in einer Gesellschaft ohne Familie diskutieren sollte. „Männer und Frauen passen nicht zusammen“, hatte die launige Überschrift des Festivals Neuer Internationaler Dramatik an der Berliner Schaubühne gelautet, das am Sonntagabend mit dieser Diskussion endete. Und mit der bitterernsten Empfehlung, die Männer und die Frauen sollten lieber doch versuchen, miteinander klarzukommen, denn sonst sei das Ende schrecklich.

Vier Tage lang waren am Lehniner Platz neue Stücke nonstop präsentiert worden. In Lesungen, szenischen Einrichtungen, manchmal dargeboten von den Autoren selbst. Gekommen waren fast alle, deren Stücke auf dem Programm standen: Biljana Srbljanović, Jessica Goldberg, Farid Nagim, Jewgeni Grischkowez, die Theatergroep Hollandia. Und Enda Walsh, dessen Stück „Bedbound“ aus ihm herausbrach wie früher der Punk aus Sid Vicious.

Zuerst, so zeigte sich bei Biljana Srbljanović, hatte man vieles noch für lösbare Probleme gehalten. In einer Schule irgendwo in Westeuropa unterrichtet Leo Schwartz. Der Russe kam als Dissident und ist nach zwölf Jahren so wunderbar integriert, dass er es sogar zum Direktor brachte. Und so fängt sein Montag ein: Ein Journalist kommt und will seine Geschichte zum x-ten Mal im Lokalteil verbraten. Die Schüler sind so, wie man in der Zeitung liest, dass Jugendliche heutzutage sind: Sie stehlen und prostituieren sich, lügen und wollen dabei doch nichts als ein funktionierendes Zuhause. Was sie natürlich nicht mehr haben.

Mit den Mitteln der Soap-Opera malt Biljana Srbljanović in „Supermarkt“ ein fatalistisches Bild vom postideologischen Europa. Die Serbin gehörte zu den Stars des Festivals. Ihren Protagonisten Leo Schwartz hingegen, der als trauriger Mittvierziger an einer erlogenen Dissidentenbiografie bastelt, erklärte sie während des Publikumsgesprächs als bemitleidenswerten Vertreter einer neuen „Lost Generation“. Später sah man die Dramatikerin dann mit einer riesigen Prada-Handtasche hantieren: The winner takes it all.

Frauen hatten die stärkeren Auftritte auf diesem Festival. Bestes Stück war „This is a Chair“ der englischen Dramatikerin Caryl Churchill, das von der Entfremdung des öffentlichen Diskurses vom Leben der Menschen handelt. Große Überschriften aus Zeitungs- und Fernsehnachrichten, in denen es um Krisen und Konflikte geht; davor spielen kleine Szenen aus dem Alltag, in denen Krisen und Konflikte sich in dramatischer Aussichtslosigkeit zuspitzen.

Die Männer waren mit der Aufarbeitung ihrer Rolle als gesellschaftliches Auslaufmodell befasst und ächzten unter den Anstrengungen, die ihnen von der Freiheit zugemutet werden. Das taten sie auf der Bühne am liebsten ganz allein. Der Schauspieler Toni De Maeyer zum Beispiel, der aufs Allerakrobatischste Farid Nagims Geschichte von „Goebbels’ Tisch“ erzählte (Regie: Gennadij Bogdanow): Ein junger, reichlich durchgedrehter Mann versucht, von sicherheitsversprechenden Ordnungen der Männerwelt wenigstens in den Gegenständen noch einen Nachhall zu finden. Er lebt in der Wohnung eines alten russischen Marschalls, in dessen Besitz sich ein Tisch von Goebbels befindet. Auch der russische Autor und Schauspieler Jewgeni Grischkowez erzählt in „Wie ich einen Hund gegessen habe“ mit tapsigem Charme von der Sinnlosigkeit seiner Zeit. Alles war natürlich ganz schrecklich beim Militär, aber als er wieder nach Hause kam, war das Zuhause weg. Da kriegt auch die Militärzeit den verklärten Glanz einer Ordnung, nach dem man sich sehnt.

Ein Einzeldarsteller, der mit virtuoser Manie die Ordnung des Diskurses verteidigte, war dann Slavoj Žižek. Die Ehe sei ein „radical, abstract commitment“ mit unschätzbarem symbolischem Wert für die Gesellschaft, stellte er bei der Abschlussdiskussion fest. Žižek spuckte schillernde Pointen, und die männlichen Mitdiskutanten nickten zufrieden.

Die Frauen lieferten ihre Analysen der Lage der Gesellschaft als theatralische Versuchsanordnungen. Das provozierendste Stück stammte von der jungen Amerikanerin Jessica Goldberg. „Fluchtpunkt“ behandelt auf den ersten Blick ganz zeitgemäß ein Familienthema. Im Mittelpunkt ein Geschwistertrio. Die Eltern haben sich davongemacht, die Jugendlichen leben im Elend, und die Älteste hat die Mutterrolle übernommen. Trotzdem glänzt es warm, denn Amy, die große Schwester, ist eine, die nicht geht, sondern bleibt. An ihren Herd drängt dann auch Sam, eigentlich ein One-Night-Stand. Sam ist viel herumgekommen. „Erzähl mir von Mexiko“, bittet ihn Amy also. Sam aber „möchte einen sicheren Ort!“, und den kriegt er am Ende auch: heiratet Amy, deren Sehnsucht, wegzukommen aus diesem selbst gezimmerten Mutterknast, damit endet, dass ihr die Schürze ums Hochzeitskleid gebunden wird. „Wir werden uns beschützen, das ist alles, was wir tun können“, sagt sie, ganz zur Heiligen geworden. Man hätte aufschreien mögen bei so einem Happy End.

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