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DAS GEREDE VON DER KRISE DER US-DEMOKRATIE IST UNSINNNachzählen lohnt sich

Es ist schon außergewöhnlich miesepetrig, wie die Leitartikler allerorten mit der Stimmenauszählung bei den Präsidentschaftswahlen in den USA umgehen. Von der Krise der Demokratie ist da die Rede, wenn nicht ganz schnell klar würde, wer nun neuer Präsident der Vereinigten Staaten wird. Dabei wäre eigentlich angebracht, amüsiert das Schauspiel zu genießen, wie die älteste Demokratie der Welt den so uneindeutig manifestierten Wählerwillen erforscht. Die US-Amerikaner selbst sind da bislang viel gelassener: Ihnen ist es nach Umfragen wichtiger, dass alle Stimmen wirklich gezählt werden, als dass es ganz schnell geht. Man könnte diese urdemokratische Gesinnung bewundern – wäre diese Ehrfurcht nicht gleichzeitig so albern angesichts der Tatsache, dass in der US-Demokratie niemand in ein öffentliches Amt gewählt werden kann, der nicht reichlich Finanzmittel besitzt.

Die Kommentatoren hingegen scheinen allesamt auf die Polemik des Bush-Teams hereinzufallen. Der republikanische Gouverneur aus Texas, der noch im Präsidentschafts-Wartestand Hinrichtungsurteile in seinem Bundesstaat unterschreibt, will natürlich nicht, dass durch genaues Auszählen der Stimmen in den demokratischen Hochburgen in Palm Beach County seine hauchdünne Mehrheit verschwindet. Also wirft sein Kettenhund James Baker den Demokraten Obstruktion vor, nur weil sie die so eigenartig gelochten, gestanzten und verbeulten Wahlzettel noch einmal per Hand angucken wollen. Wenn es eine Krise der Demokratie gibt, dann durch diese Verweigerungshaltung der Bush-Kampagne, die prophylaktisch schon mal den Helfern in den – zugegeben: von Demokraten kontrollierten – Wahlbehörden Betrug unterstellt und damit den Konsens in den USA in Frage stellt, der bisher die Wahlen auch ohne überparteilichen Beamtenapparat funktionieren ließ.

Bisher wurden die Wähler von einem gewissen Gottvertrauen getragen: Man gab seine Stimme ab, und ein Urteil wurde verkündet – klar, unfehlbar, unantastbar. Der Wähler äußert seine Meinung und überlässt es dann einer Behörde und vielen Computern, die Konsequenzen zu bestimmen. Dass dies plötzlich nicht in der rasenden Geschwindigkeit geschieht, an die man sich dank Demoskopie, Fernsehen und Internet gewöhnt hat – das verunsichert, ist aber auch ergreifend. Und sicher keine Bürgerkriegsgefahr und auch kein Grund, an der Legitimität der Wahlen zu zweifeln.

Es wäre schon schlimm genug, wenn jemand wie der texanische Gouverneur zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt würde. Geradezu verantwortungslos wäre es, ihn auf diesen Posten zu lassen, wenn er nicht einmal gewählt ist. Nachzählen lohnt sich. BERND PICKERT

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