: Streng nach Recht und Gesetz
In seiner Urteilsbegründung lässt Richter Joachim Dönitz Milde für die Täter walten und findet kein Wort des Bedauerns für die Angehörigen des Opfers
aus Cottbus LUKAS WALLRAFF
Die letzte Szene war noch einmal typisch für den gesamten Prozess. Kurz vor ein Uhr schien alles vorbei zu sein. „Die Verhandlung ist geschlossen“, erklärte Richter Joachim Dönitz und klappte den letzten Aktendeckel zu. Die Angeklagten verließen schon teilweise erleichtert den Saal 209 des Cottbusser Landgerichts, in dem sie 81 Prozesstage lang auf das Urteil gewartet hatten. Fotografen und Fernsehleute drängten hinein, um Bilder zu machen. Verteidiger und Nebenkläger gaben erste Interviews. Mitten im Getümmel freute sich die Mutter eines Angeklagten: „Gott sei Dank, dass es vorbei ist.“ Doch in diesem Moment fiel Richter Dönitz ein, dass er noch etwas Wichtiges vergessen hatte. Die „Rechtsmittelbelehrung“. Noch einmal mussten alle Platz nehmen. „Gegen dieses Urteil kann binnen einer Woche Revision eingereicht werden“, teilte Dönitz mit. Dann, kurz nach eins, war der Prozess um die tödliche Hetzjagd von Guben endlich abgeschlossen.
Auf den Tag genau 21 Monate nach dem Tod des 28-jährigen Algeriers Farid Guendoul alias Omar Benoui wurden gestern acht der elf Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen. „Heute steht fest“, sagte Richter Dönitz, „dass von ihnen ein jeder für sich den Tod Farid Guendouls mit verursacht hat und für diesen mitverantwortlich ist.“ Die acht Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren seien aktiv an der Verfolgungsjagd beteiligt gewesen, in deren Folge Guendoul am 13. Februar 1999 qualvoll ums Leben kam. Die drei, die sich in jener Nacht eher passiv verhielten und während der Verfolgung Farid Guendouls im Auto sitzen blieben, wurden vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. „Völlig unverständlich“ für Rechtsanwältin Christina Clemm, die deshalb sofort nach dem Urteil im Namen der Nebenkläger ankündigte, in die Revision zu gehen.
Bei dem Strafmaß blieb das Gericht unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Nur drei Angeklagte müssen ins Gefängnis, zwei von ihnen erhielten mehrjährige Jugendstrafen, weil sie schon vor der Hetzjagd weitere Delikte begangen hatten. Bei sechs Verurteilten wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt, zwei kamen mit einer Verwarnung davon. Nur einer der Angeklagten wurde allein wegen der Beteiligung an der Hetzjagd zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Der 21-jährige Alexander Bode muss eine zweijährige Jugendstrafe absitzen, weil er in der Tatnacht „die entscheidende Figur“ gewesen sei. „Als Ältester hat er die anderen angestachtelt“, sagte der Richter.
Wesentlich milder fiel das Urteil für Steffen Henze aus, der auch gestern wie gewohnt mit frisch rasiertem Schädel erschien und als zweiter Rädelsführer gilt. Er erhielt lediglich ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung. Bei dem 18-Jährigen hat das Gericht „die Hoffnung“, ihn „auch ohne Vollstreckung der Strafe auf den rechten Weg“ zu bringen.
Alle elf Angeklagten wurden wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung verurteilt. Dass zwei der Beteiligten trotzdem mit einer Verwarnung und 100 bzw. 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit davonkamen, hält Nebenklagevertreterin Clemm für „einen Schlag ins Gesicht für die Opfer“. Den zwei Brüdern von Farid Guendoul, die zum gestrigen Urteil aus Algerien anreisten, war deutlich anzusehen, was sie von der Entscheidung des deutschen Gerichts hielten. Vier Stunden lang saßen sie den Männern gegenüber, die den Tod ihres Bruders verursachten. Als alles vorbei war, löste sich bei einem der Brüder die Anspannung, er kämpfte mit den Tränen. Er könne nicht begreifen, so Anwältin Clemm, dass „die jetzt fast alle frei nach Hause gehen dürfen“.
Richter Dönitz ging mit keinem Wort auf die Gefühle der Angehörigen ein und übte stattdessen ausführlich Presseschelte. Der Prozess habe „unter der öffentlichen Begleitung gelitten“, klagte Dönitz und kritisierte den „voreiligen Schuldspruch von Teilen der Öffentlichkeit, Politik und Presse“. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hatte die lange Dauer des Guben-Prozesses im Februar als „Skandal“ bezeichnet. Für Richter Dönitz eine „unzulässige Einflussnahme“, die nicht zu akzeptieren sei und den Druck auf das Gericht erhöht habe. Aber auch die Verteidiger bekamen ihr Fett weg. Dönitz warf den Anwälten vor, einen „sinnlosen Kampf gegen das Gericht“ geführt zu haben. Mit ihren „unsinnigen Befangenheitsanträgen“ hätten sie nicht nur das Verfahren verzögert, sondern auch „die Jugendlichen aus dem Mittelpunkt gerückt und zu amüsierten Beobachtern beim Versuch der Demontage des Gerichts“ gemacht.
Viel Verständnis zeigte das Gericht auch für das Gedankengut des Angeklagten Marcel Preusche, der während des Verfahrens dabei erwischt wurde, wie er die Blumen am Gedenkstein für Farid Guendoul zertrat. Dies habe er wohl aus „Frust über den langen Prozess“ gemacht, sagte Dönitz milde und ließ es bei einer Verwarnung bewenden.
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