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Bebrillte Schwabbelbacken

■ Zur Eröffnung des Oldenburger Horst-Janssen-Museums wurde dem Künstler und dem Kanzler gehuldigt

Oldenburg im Horst-Janssen-Fieber: Sogar in der schmuddeligen Fußgänger-Unterführung hängen des vielbegabten Künstlers Texte: In Schaukästen, auf knittrig-schwarzer Plastikfolie – zwischen Werbung von Technischem Hilfswerk, Jiu-Jitsu-Club oder Bundeswehr („Reserve statt Ruh'“). Wer aus dem Uringeruch ans Tageslicht emporsteigt, sieht es vor sich liegen, Oldenburgs neues Schmuckstück: Das Horst-Janssen-Museum, betonsolider Beweis dafür, dass auch beamteten Architekten der große Wurf gelingen kann.

Heute wird der edle Anblick ein wenig gestört durch Absperrgitter und Uniformierte, schließlich hat sich der Kanzler zur Einweihung angesagt. Was ihn wohl hertreibt? Ist der Möchtegern-Genussmensch Schröder fasziniert vom Exzessmenschen Janssen? Identifiziert sich der Gelegenheits-Cohiba-Raucher mit dem Schnapsflaschen-en-masse-Vernichter? Der Bundeskanzler beschreibt den verstorbenen Künstler mit Worten, die er auch über sich selbst gern lesen würde: „Ich habe ihn in Erinnerung als arbeitssüchtig . . . aber auch den schönen Dingen des Lebens nicht abgeneigt“, lässt er persönliche Bande zu dem Mann durchblicken, den er einen der größten Zeichner des Jahrhunderts nennt. Ohne zu zögern hat er deshalb als Ministerpräsident für den Museums-Neubau einen Landeszuschuss in Höhe von sechs Millionen Mark zugesagt.

Solches Engagement für die Kunst kommt an und wird belohnt: Schröder bekommt eine Rolle mit „Post aus dem Elysium“. Absender: Horst Janssen, ehemals Mühlenberger Weg. „Sie hätten mehr illustrierte Janssen-Dankesbriefe verdient als alle Hamburger Bürgermeister zusammen“, sagt der irdische Überbringer Carl Vogel. Der Kunstprofessor und Janssen-Freund hätte seine gewaltige Janssen-Sammlung allzugern in seiner Heimat Hamburg ausgestellt, aber die war zu zögerlich. Schließlich riss Karin und Carl Vogel der Geduldsfaden und sie verkauften ihre Sammlung weit unter Wert an die Oldenburger Hüppe-Stiftung.

Nun kann sich die Stadt, in der Janssen aufwuchs, mit dem Frühwerk des Künstlers schmücken. In Oldenburg zeigt sich ein ganz anderer Janssen, als er dem Kulturbetrieb zuletzt in Erinnerung geblieben war – nicht die manierierten Radierungen, an denen deutlich das Studium der alten Meister erkennbar ist. Nicht jene unzähligen Schnörkel, die manches Janssen-Werk zu einem Suchbild machen. Keine fast gefällig-dekorativen Aquarelle von Früchten, Blumen oder toten Vögeln. Und auch keine tausendfachen Durchdringungen, bei denen aus psychischen Abgründen Monstren unheilvoll hervorlugen.

In Oldenburg gibt es eine einfachere Janssen-Bilderwelt zu sehen. Skurille Tiere auf ornamental-flächigen Holzschnitten aus den 50ern, großflächige Lithographien aus den 60ern, in denen Menschen bizarre Proportionen annehmen – auf Kritik an seiner späteren Hinwendung zum Realismus hat Janssen behauptet, sie seien Produkte mangelnder Anatomiekenntnisse, er habe es einfach nicht besser gekonnt. Zu den neuesten Exponaten gehört die Serie „Anmerkungen zum Grundgesetz“ von 1980 – fast cartoonhafte Bleistift-Illustrationen zu Janssens beißenden Texten über die alte Bundesrepublik. „Eigentum verpflichtet“ heißt es im Paragraphen 14 der Verfassung – „Eure Bildung heißt Eigentumsbildung“, giftet Janssen das westdeutsche Bürgertum an. Bildlich schleudert er – mit schwarz-rot-goldenem Schal – eine Kanonade aus quietschbuntem Rotz gegen graugestriegelte Paragraphenreiter ohne Gesicht, die in seine Wohnung dringen, Gesetzestafeln wie Schutzschilde vor sich haltend. Aber auch der zweifelnde Janssen ist schon da, der ständig über sich selbst nachgrübelt: In einigen „Selbst“, wie er seine Selbstporttraits nannte, droht sich Horst Janssen in einem Meer aus Kommata zu verlieren, verschwimmt mit seiner Umwelt.

Später wird die Beschäftigung mit sich selbst zum alles beherrschenden Thema im Werk des Egomanen. Deutlich zeigt das die Eröffnungsausstellung des Museums: Metamorphosen. Ob Schafskopf, Mauersegler, Pferd oder vogelartiges Monster – überall schimmern des Meisters eigene Schwabbelbacken durch, immer wieder lassen sich seine gigantischen Brillengläser erahnen. Sogar der Ausmal-Hund für die Enkeltochter trägt eine rosa Riesenbrille und heißt „My Opapa“, selbst der plattgefahrene Frosch scheint noch Janssens gewaltige Hamsterbacken zu tragen. Alles scheint ihm Anlass für eine weitere Auseinandersetzung mit sich selbst. Auch mit dem Tod porträtiert sich der Getriebene – laut Joachim Fest glaubte Janssen daran, mit dem Sensenmann ein Abkommen zu haben. Der Festredner und ehemalige Herausgeber der FAZ, mit Janssen freundschafltich verbunden, hat sich oft gewundert, warum die imaginären Horrorwesen, die den von Ängsten getriebenen Künstler immer wieder anfielen, nur vergleichsweise geringen Niederschlag in seinem Werk fanden. „Es genügt doch, dass ich mich nachts mit ihnen herumschlagen muss“ antwortete Janssen. Jan Kahlcke

„Ich seh' mich in allem anderen – Metamorphosen im Werk Horst Janssens“ bis zum 15 März 2001 zu sehen, Di-So 10-18 Uhr, im Oldenburger Horst-Janssen-Museum, Am Stadtmuseum 4-8

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