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Vergiftete Spritze

Mit den zusätzlichen Millionen für Stardirigent Barenboim durchkreuzt der Bund die Opernpläne des Kultursenators

Es sieht nach einer großzügigen Gabe aus. 3,5 Millionen Mark will Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD) im kommenden Jahr für Daniel Barenboims Berliner Staatskapelle lockermachen, um den Verbleib des Dirigenten in der Hauptstadt zu ermöglichen – exakt jene Summe, von der Barenboim die Verlängerung seines Vertrags stets abhängig gemacht hatte. Erst am Dienstagabend hatte Naumann die Entscheidung publik gemacht, schon heute soll der Haushaltsausschuss des Bundestages die Millionen für die Berliner Kultur bewilligen.

Für den Berliner Kultursenator Christoph Stölzl (parteilos) ist die Freude über den plötzlichen Geldsegen nicht ungetrübt. Gleich in doppelter Hinsicht hat es Stölzl nun schwerer, seine Pläne für eine Opernfusion durchzusetzen. Einerseits entsteht beim Publikum der Eindruck, die Geldnöte der Musiktheater wären nun vom Tisch. Doch an den Defiziten der Häuser ändert das frische Geld überhaupt nichts, weil es sofort in die höheren Gehälter der Musiker fließt. Im Gegenteil: Werden die Instrumentalisten besser bezahlt, dann wird auch mehr Geld für Tariferhöhungen fällig – und dafür muss das Land aufkommen.

Schwerer wiegt freilich ein zweiter Punkt. Mit seiner Geldspritze hat der Bund das klare Signal gesetzt, Barenboim zu halten. Nachdem die wichtigste Forderung des Dirigenten erfüllt ist, kann ihn Stölzl nicht mehr fallen lassen. Dabei war der Star in den Plänen des Senators gar nicht mehr vorgesehen: Barenboims Staatsoper sollte mit der Deutschen Oper in Charlottenburg fusionieren, das Orchester kräftig abspecken und auf das „große“ Repertoire von Wagner bis Richard Strauss verzichten.

Dieses Konzept muss Stölzl nun zu den Akten legen, jetzt werden andere Modelle wieder aktuell. Statt sich der großen Deutschen Oper auszuliefern, könnte die Staatsoper die kleine Komische Oper unter ihre Fittiche nehmen. Oder die drei Opernhäuser könnten, bei Erhalt der künstlerischen Autonomie, nur ihre Technik und Verwaltung fusionieren. Alles ist wieder offen, entsprechend besorgt klangen gestern die Töne aus Deutscher und Komischer Oper, die sich schon in Sicherheit gewogen hatten.

Ob Naumanns „Geschenk“ seinen Namen verdient, steht auch aus einem ganz banalen Grund in den Sternen: Abgesichert ist der Zuschuss nur für das Jahr 2001, für die Jahre danach will der Bund nichts versprechen. Bleibt es bei der Einmalzahlung, müsste vom Jahr 2002 an das Land Berlin für die höheren Gehälter der Staatskapelle aufkommen. Für die grüne Kulturpolitikerin Alice Ströver macht die Entscheidung daher nur Sinn, „wenn es der Einstieg in eine Bundesoper ist“.

RALPH BOLLMANN

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