Fehlerkultur bei der Bahn

Die Bahn AG wird 20 Milliarden Mark weniger als geplant erwirtschaften. Mit staatlichen Zuschüssen und einem harten Sparkurs wird sie saniert

aus Berlin ANNETTE JENSEN

„Ich hoffe, wir haben jetzt den Boden des Eimers gesehen“, sagte Verkehrsminister Reinhard Klimmt. Gemeint war wohl die desaströse Situation der Deutschen Bahn AG. Bahnchef Hartmut Mehdorn verkündete auf der gestrigen gemeinsamen Pressekonferenz, dass die Betriebsergebnisse des Unternehmens in den kommenden vier Jahren um 20 Milliarden von dem abweichen, was bisherige Planung war. Statt, wie bisher offiziell angenommen, Gewinne von mindestens 1,2 Milliarden Mark im Jahr zu erwirtschaften, wird es mindestens bis 2004 nur rote Zahlen geben. An einen Börsengang sei deshalb zunächst nicht zu denken.

Mehdorn kündigte einen „harten Sanierungskurs“ an. Mit den Gewerkschaften sei vereinbart, in den kommenden Jahren 3,6 Milliarden Mark im Personalbereich einzusparen. Im Jahr 2005 will die Bahn nur noch 170.000 Leute auf der Lohnliste haben. Statt weiterhin in Großprojekte zu investieren, will Mehdorn die Anstrengungen jetzt auf den „Substanzerhalt“ konzentrieren. Die Reparatur von 2000 Langsamfahrstellen habe absolute Priorität. Dabei solle es kein „Geschnipsel“ mehr geben, wo ein Streckenabschnitt schnell gemacht werde, aber es hinter der Landesgrenze dann wieder langsam weitergehe. Für die Verbesserung solcher Netzstellen will Mehdorn die gesamten zwei Milliarden Mark aufwenden, die die Bahn aus den UMTS-Milliarden bekommt.

Doch der Investitionsbedarf liege weitaus höher. Fürs Schienennetz veranschlagt Mehdorn 10 Milliarden Mark im Jahr. Ein Großteil kommt aus der Bundeskasse – zum überwiegenden Teil als Zuschuss, hofft er. Nur 800 bis 900 Millionen sollen nach seiner Kalkulation in Form von Darlehen überwiesen werden. Zusätzlich will die DB AG noch jährlich drei bis vier Milliarden für Waggons und Loks ausgeben.

Bei der Frage, warum die Kosten derart aus dem Ruder gelaufen sind und wer dafür verantwortlich ist, flüchtete sich Mehdorn in Passivformulierungen. „Wir haben eine bestimmte Fehlerkultur zu akzeptieren“, meinte er. Die Bestandsaufnahme habe ergeben, dass es sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite viel zu optimistische Planungen gegeben habe. „Der Umsatz hat so nicht stattgefunden und wird auch so nicht stattfinden“, dämpfte Mehdorn Erwartungen auf eine massive Ausweitung des Geschäfts. Zugleich habe das Unternehmen vertragsrisiken akzeptiert, die es besser nicht eingegangen wäre. Allein bei den Großprojekten Berliner Knoten, der ICE-Neubaustrecke Köln – Frankfurt und der Trasse Nürnberg – München ist mit sechs Milliarden Mark Mehrkosten zu rechnen. Die dort fahrenden Züge werden diese Ausgaben nie wieder einspielen können. „Künftig machen wir nur noch, was sich rechnet“, so Mehdorn. Dass diese Strategie auch in der Fläche zu vielen Konflikten führen werde, sei ihm bewusst.

Auch beim Aufbau des digitalen Funknetzes haben sich die DB-Planer mächtig verschätzt, sodass hier Mehrkosten von 1,5 Milliarden Mark anfallen. Für Leit- und Schienentechnik sollen in den Jahren bis 2009 insgesamt 11 Milliarden Mark investiert werden – 80 Prozent der Stellwerke sind heute älter als 40 Jahre.

Mehdorn kündigte an, dass künftig ein striktes Kosten- und Projektmanagement stattfinden solle, bei dem es auch ein Controlling geben werde. Bei der Frage, ob die Verantwortlichen für die Situation ausgetauscht werden, äußerte sich der Bahnchef sehr nebulös: In Deutschland gebe es die Manie, alles personalisieren zu wollen.