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Aufgeblasene Ausstellung

Frische PVC-Dünste in der ehemaligen Transformatorenhalle: Die aktuelle Ausstellung des Vitra Design Museums Berlin heißt „Blow up. Geformte Luft in Design, Architektur, Mode und Kunst“

von MICHAEL KASISKE

Von der Decke schwebt ein beflügelter VW-Bus mit der Aufschrift „Transcendental Airlines“ als aufgeblähtes Kunststoffobjekt von David Leroi und Elisa Blanc-Bernard. Auf der Erde laden eine luftgetragene Liege und ein ebensolcher Sessel in dem transluzenten Zelt namens „Le Cabinet de Dr. Lacan“ von Paolo Reinoso zur nachgiebigen Analyse ein. „Blow up. Geformte Luft in Design, Architektur, Mode und Kunst“, die aktuelle Ausstellung des Vitra Design Museums Berlin, kann fürwahr „aufgeblasen“ genannt werden.

In der ehemaligen Transformatorenhalle mischen sich jetzt also PVC-Dünste in den noch vorhandenen Maschinenölgeruch. Die große Zahl von Exponaten, die bereits im Sommer unter dem Titel „Air en Forme“ im Musée de Design et d’Arts Appliques/Contemporains (MU.DAC) in Lausanne präsentiert wurden, hat die Kuratorin Chantal Prod’Hom nun in Berlin noch mit Stücken aus der Vitra-Sammlung erweitert. Die Gliederung folgt den Stichworten Innovation und Technik, Sicherheit, Spiel, Imitation, Hypertrophie, Körper und Wohnen, um Wechselwirkungen abseits der Disziplinen aufzudecken.

Bei „The Basic House“ von Martin Ruiz de Azua fällt die Entscheidung für eine Kategorie schwer, ist doch etwa die goldene Hülle in der Tasche eines speziell konfektionierten Shirts Teil der Kleidung. Auch die „Astral Bag“ von Christina Hagman ist eine Mischform. Denn in der prallen Hülle eines mit Rüssel, Schwanz und Hörnern ausgestatteten Fantasiewesens steckt außer der Luft auch noch ein fast nackter Mensch. Indem er mit den Händen die Wände abtastet, wird seine Aura als Raum von innen, für den Betrachter als greifbares Medium von außen erfahrbar. Diese Arbeit steht in dem aus Lausanne übernommenen Katalog unter „Fantasme-Erotisme“, wo hingegen die obligaten Sexpuppen in der Ausstellung als Surrogate gewertet werden und – anders als im Katalog – der Kategorie „Imitation“ zugeordnet sind.

„Das Thema liegt in der Luft“, ulkt Jochen Eisenbrand, einer der Ausstellungs-Organisatoren. Dies lässt sich nicht nur auf die Aktualität der Siebzigerjahre zurückführen, sondern ist auch der erneuten Akzeptanz von Kunststoffen und dem Wunsch nach leichtem Mobiliar geschuldet. Wobei in „Blow Up“ – mit Ausnahme von Klassikern wie einem Sessel und einem Tisch von Ngyen Manh Khanh – das Thema Möbel nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Die historische Einordnung musste bei der kurzen Vorlaufzeit der Schau von drei Monaten knapp ausfallen. Vermisst wird vor allem eine ausführliche Einlassung auf die architektonischen Projekte der utopischen Gruppen der Sechzigerjahre. „Der rechte Winkel als Prinzip aller starren Strukturen ließ sich ohne formale Willkür, allein durch die Eigenschaft der neuen Materialien überwinden“, beschreibt Laurids Ortner von Haus-Rucker-Co den damaligen Impetus, mit luftgefüllten Objekten gegen den zunehmend industrialisierten Baubetrieb zu opponieren. Mit dem „Gelben Herzen“ und der „Grünen Lunge“ hat diese Gruppe auch die ökologische Bedeutung von Luft als Stoff des Lebens zeichenhaft gestaltet, was den Schutzanzügen für den Großstadtdschungel nicht gelingt, die Lucy Orta entworfen hat.

Die Ausstellung wirkt durchaus hyperventiliert: Sie zeigt zu viel bunt gestaltete Luft und zu wenig kulturgeschichtliche Hardware. Es wäre etwa an die pneumatische Architektur zu denken, die der Kunsthistoriker Marc Dessauce bei einer ikonografischen Betrachtung mit den Begriffen Mobilität, Bewegung, Energie und Flucht in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs belegte. So aber verflacht die Faszination der Exponate zum bloßen ästhetischen Objekt.

Das ist nach dem gelungenen Einstand von Mateo Kries, dem Leiter der Berliner Museumsdependance des in Weil am Rhein beheimateten Unternehmens, ärgerlich. Die Eröffnungsausstellung über den dänischen Designer Verner Panton war mit mehr als 40.000 Besuchern – überwiegend im Alter zwischen 20 und 40 Jahren – ein beachtlicher Erfolg. Um diese Zielgruppe zu binden, traf Kries auch die Entscheidung, anstelle der Übernahme der Wanderausstellung „Kid Size“ mit „Blow up“ eine eigene, den hiesigen Räumlichkeiten entsprechende Schau zu wagen.

Dennoch, ein sinnlicher Genuss sind die prallen und auch verletzlichen Leichtgewichte allemal. Ergänzt durch die Darstellung praktischer Anwendungen – vom Fahrradschlauch über Rettungswesten und Schwimmflossen bis hin zu den durch Luftpolstern gefederten Schuhsohlen – lässt „Blow up“ keinen Zweifel aufkommen, dass die Pneumatik noch viele Möglichkeiten bietet, Luft in klingende Münze zu verwandeln.

bis 4.2.2001, Vitra Design Museum Berlin, Kopenhagener Straße 58, Mi. - So. 11.00 bis 20.00 Uhr, www.design-museum- berlin.de, Katalog 48 DM; pneumatische Architektur: www.archINFORM.de

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