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Flanieren ohne Ausgehzwang

Die Stadt als Sampler: „Familienangelegenheiten aus Berlin“ erspart einem die Suche nach der richtigen Party

Ausgehen in Berlin kann mühselig sein. Besonders, wenn es draußen kalt ist. Die Stadt ist groß, die nächste Party immer mindestens eine Autofahrt entfernt, und man findet sie erst nach langem Suchen in einem unbeleuchteten Seitenhof. Im schlimmsten Fall steht man dann dort, mit Jacken überm Arm, in einem schlecht belüfteten Raum zwischen transpirierenden Jungs in Polyester-Pullis.

„Familienangelegenheiten aus Berlin“ heißt eine Doppel-CD, die einen querschnitthaften Einblick in die Keller und Wohnzimerpartys der Stadt gewährt. Die kann man sich auf dem Sofa liegend anhören, und wenn es mal langweilig wird, muss man sich nicht durch die kalte Nacht zum nächsten Club quälen, sondern springt einfach zum nächsten Track. Die Bandbreite ist ungewöhnlich: Da steht trashiger Pop von Stereo Total oder Neoangin neben Elektronikbastlern wie Pole, während Blixa Bargeld oder Max Goldt der Sammlung eine historische Dimension verleihen. Und Surrogat, die laut und heftig das Modell „Rock“ wiederbeleben, fanden sich wohl noch nie auf einem Tonträger neben der smoothen Tanzmusik von Jazzanova, die Start-up-Agenturen beschallt.

Eine dominante „Berliner Schule“, als Gegenmodell zu Hamburg oder zur Elektronikszene in Köln, gibt es hier aber nicht, so dass der Sampler nicht zur Nabelschau einer bestimmten Szene gerät. Mit einem authentischen ‚Sound der Straße‘ hat er allerdings auch nichts zu tun. Es sind vor allem studentische Welten, die auf den „Familienangelegenheiten“ präsentiert werden – HipHop etwa, mancherorts aus jedem Autofenster zu hören, kommt gar nicht vor.

Weil der Sampler ziemlich wild durch alle Stimmungslagen trampelt, eignet er sich nur bedingt zum täglichen Hören. Aber man kann ihn ja immer noch verschenken. An Freunde, die auswärts wohnen. Oder solche, die auch ausgehfaul sind.

STEPHANIE GRIMM

Diverse: „Familienangelegenheiten aus Berlin“ (Lieblingslied Rec.)

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