: Einfach schöööööön
■ „Holiday on Ice“, einer der Dinosaurier im Programm der Bremer Stadthalle, feiert seine Verjüngung: Das neue Programm „In Concert“ erzählt die Geburt der Popmusik
Der Gitarrist Eric Clapton kam zuletzt Anfang der 80er bei seiner damals angeblichen Abschiedstour nach Bremen. Peter Gabriel trat höchstpersönlich 1987 zuletzt in der Stadthalle auf und ward seither nicht mehr gesehen. Die ganz Großen, zu denen auch mal Leute wie Grateful Dead, Barclay James Harvest oder Mike Oldfield gehörten, haben abgedankt, machen einen Bogen um Bremen oder haben Britney Spears und Pur die Halle überlassen. Dieser ganzen Aufs und Abs zum Trotz gibt es aber im Programm der Bremer Stadthalle Veranstaltungen, da kannste die Uhr nach stellen: Beim Sechs-Tage-Rennen ist Januar, bei der Musikschau der Nationen ist auch Januar und bei „Holiday on Ice“ ist jetzt.
Schon seit eineinhalb Generationen gastiert diese Eisrevue in der Stadthalle und hat Bremen zu einem Zeitpunkt vor Einsetzen des Menschengedenkens auch zum Standort ihrer Deutschlandpremiere befördert. „Holiday on Ice“ ist einer dieser Staubsauger und Sorgenfaltenwerfer im Trainerstab des Eiskunstlaufs. Denn irgendwann erlagen alle Traumpaare dieser Sportart der Versuchung, den Sportschuh an den Nagel zu hängen und ins Profilager zu wechseln. „Holiday on Ice“, das war ein Dämon.
„Vergessen Sie alles, was Sie bisher über ,Holiday on Ice' gehört haben“, rät jetzt, im 33. oder 38. Jahr des Bremen-Gastspiels, der rührige Stadthallenchef Claus Kleyboldt. Doch wie soll man vergessen? Lange Zeit schien es nämlich so, dass dieser Dinosauerier des Stadthallenprogramms die gleichen Zukunftsaussichten hat wie die ganze Gattung hier in der Halle und dort im Fernsehen. Rosenthal, Kulenkampff, Elstner und Thööööööööölllke sind alle weg. Und Thomas Gottschalk würde eines Tages derjenige sein, der nach seinem Abtritt das Licht ausmacht bei einem Nachkriegsprojekt namens „Die große Familienabendunterhaltung“. Doch Pustekuchen. Während Günther Jauch im TV mit seinem Millionenquiz den Straßenfeger neu erfindet, erlebt auch „Holiday on Ice“ eine Wiedergeburt.
„In Concert“ heißt das aktuelle Programm, das aus eigentlich alten Rezepten eine Neuheit zubereitet: Die bei Revuen früher selbstverständliche, dann mal eingesparte Live-Band kommt zurück. In Gestalt exzellenter MusikerInnen trägt und prägt sie die Show. Eine musikalische Reise um die halbe Welt führt von Afrika nach Latein- und Nordamerika über Spanien in den Orient nach Ost- und Mitteleuropa. Ein mit jeder Menge „Standards and Spirituals“ und Pophits angereicherter musikalischer Spaziergang erzählt die immer junge Geschichte von der Geburt des Jazz und der Popmusik bis hin zum Hip Hop. Den alten ist's vielleicht ein bisschen zu laut.
In Bremen ist „Holiday on Ice“ – Ehrenkarten eingerechnet – eine Art gesellschaftliches Ereignis. Der ehemalige Bürgerschaftspräsident, der Sozialdemokrat Dieter Klink, braucht vor lauter Grüßerei Stunden, bis er seinen Platz erreicht. Mit gewesenen und gewordenen Promis wie Ulrich Nölle, Ronald-Mike Neumeyer oder Jens Eckhoff erreicht die CDU einen leichten Punktsieg vor der SPD. Und in der Pause stürzt das Unikum der Klatschreportage, Martin Globisch, ganz geschäftig auf den ehemaligen „Jekyll & Hyde“-Produzenten Lutz Jarosch zu, der jetzt die Solo-Karriere der ehemaligen Lucy aus dem Musical, Lyn Liechty, managt. Die Arme singt vor der Pause zum Playback einen Retorten-Pop-Song, den man schneller vergisst als man ihn hört. Das Publikum ist vollkommen ungerührt.
Gegen die „Holiday on Ice“-Band und ihren Songcocktail fällt musikalisch alles andere und auch sonst vieles ab. Als die Revue die EisläuferInnen noch von den Siegertreppchen engagierte, war sie das verlängerte Schaulaufen der SiegerInnen. Der Salto – im Wettbewerb tabu – fand und findet hier Platz. Doch mit der Band kommen wohl auch sportliche Abstriche. Nur noch ein ehemaliger Europameister zeigt gelegentliche Dreifachsprünge und nur ein Paar vom Typus männlicher Athlet und weibliches Leichtgewicht serviert seine Hebefiguren. „Holiday on Ice in Concert“ ist eine Musikshow mit nur noch spärlichen sportlichen Zungenschnalzern geworden. Doch dank weltrekordverdächtiger Kostümwechsel, beeindruckender Lichteffekte und atemraubender Spiralfiguren des ganzen Ensembles ist dieses Programm mit den meisten Hits des 19. und 20. Jahrhunderts und dem Besten von heute schlicht und einfach sehenswert. Am Schluss kommt sogar Peter Gabriel zurück in die Bremer Stadthalle. Wenn man die Augen zumacht sieht man ihn. Einfach schööööönnn.
ck
Bis 21. November in der Stadthalle, Karten unter 35 36 37.
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