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Ein Herz für Lyrik

■ Morgen beginnt die Lesereihe „Literatour Nord“ mit einer Lesung des Schweizers Urs Widmer. Über das Konzept dieser mit Erfolg durch Norddeutschland tourenden Reihe sprachen wir mit Gert Sautermeister. Er hat sie vor zehn Jahren mit begründet

Seit zehn Jahren läuft die Literatour Nord, eine Lesereise von sechs ausgewählten AutorInnen durch Norddeutschland, die mit der Vergabe eines Literaturpreises endet. Der Bremer Literaturwissenschaftler Prof. Gert Sautermeister ist von Anfang an dabei.

taz: Hat sich die Konzeption in den letzten Jahren verändert?

Gert Sautermeister: Wir hatten ursprünglich vor, nur mittel bekannte Schriftsteller zu berücksichtigen, die durch die Literatour Nord einen Schub erhalten sollten. Im Laufe der Jahre haben wir – auch aus buchhändlerischen Interessen – ab und zu einen Arrivierten wie etwa Robert Gernhardt eingeladen. Wir kalkulieren aber auch ein, dass das Publikum bei einem Lyrikabend überschaubar bleibt. Aber das scheint mir das Schicksal moderner Lyrik zu sein. Zu Jahresbeginn las zum Beispiel Dirk von Petersdorff. Wir haben ihm schließlich unseren Literaturpreis zuerkannt, auch in der Hoffnung, ein lyrisch noch schlafender Teil des Publikums möge erwachen.

An der Organisation von „Literatour Nord“ sind die Städte Oldenburg, Bremen, Hannover, Hamburg und Kiel sowie viele Personen beteiligt. Wie einigt man sich da auf einen Preisträger?

Gesamtkoordinator ist mein Oldenburger Kollege Dirk Grathoff. Wir treffen uns dann immer zu zwölft und tragen Vorschläge zusammen. In einem ersten Durchgang vergleicht man: Welcher der Genannten ist am häufigsten vertreten? Meist reduziert sich die Zahl auf drei. Dann wird diskutiert, was erfreulich ist, denn wir verzichten auf eine Stichwahl. Auf diese Weise schält sich dann schließlich doch ein Favorit heraus.

Wie wählen Sie die sechs auf der Literatour Lesenden aus?

Vorgabe ist, dass alle mindestens im letzten Jahr ein Buch veröffentlicht haben. Es sollte kein Debüt sein. Zu oft kam es vor, dass ein hochgelobter Debütant den großen Erwartungen nicht gewachsen war. Dann orientieren wir uns daran, ob ein Buch zum Beispiel kontrovers rezipiert worden ist, wie man die Waage hält zwischen Autorinnen und Autoren, Lyrik und Prosa.

Morgen tritt Urs Widmer auf. Nennen Sie mir drei Gründe, warum man ihn lesen hören sollte?

Urs Widmer erzählt in „Der Geliebte der Mutter“ von der passionierten, aber mit Blindheit geschlagenen Liebe einer Frau zu einem Dirigenten. Es ist eine altmodisch-romantische Liebe, wie sie so heute vielleicht nicht mehr vorkommt. Ein zweites wäre, dass Widmer an der Oberfläche Erzählmustern folgt, die wir aus Film, Fernsehen oder auch Trivialliteratur kennen. Doch spiegelt er die Szenen in einer Weise, die das Gefühl entstehen lässt, an dieser oder jener Stelle innehalten zu wollen. Und schließlich ist da die Figur des Dirigenten, der in den 20er Jahren Bartók spielt. Zugleich ist er ein Kriegsgewinnler, der durch eine taktische Heirat an eine Firma kommt, die im Zweiten Weltkrieg Waffen für die Wehrmacht produziert. Klingt doch alles spannend, oder?

Fragen: ts

So, 20h, Ambiente, Osterdeich 69a

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