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Sonne, super, SMS

Wenn es dann mal klingelt, hat man es nie in Reichweite, und warum die Displays immer oben sind und nie unten, leuchtet auch nicht ein: Warum Handys toll sind und trotzdem nicht glücklich machen

von DETLEF KUHLBRODT

Früher waren Handys blöde, verbreiteten Elektrosmog, und meist schien Gesprächsmissbrauch vorzuliegen, wenn jemand mit seinem Handy telefonierte. Oft fühlte ich mich jedenfalls gestört durch die Telefoniererei der Handybesitzer und die Anwesenheit der unsichtbaren Menschen, mit denen sie telefonierten und fand es völlig unmöglich, als die BVG im Juni 97 bekannt gab, dass man ab nun auch bei ihr telefonieren könne, und dabei hervorhob, dass Berlin die erste Stadt sei, in der das geht.

Manchmal war man auch mit einem Handybesitzer unterwegs, und jemand rief an, und sie sprachen dann – oft viel angeregter als noch eben im echten Leben – Mund an Ohr miteinander, und man selber fühlte sich in die zweite Reihe versetzt. Der Leserbriefschreiberin, die vor drei Jahren in der Berliner Zeitung erklärte, sie sei „an dem ganzen technischen Kram nur mäßig interessiert“ und freue sich „über jedes ‚normale‘ Gespräch“, schloss ich mich kurz gerne an, mochten derlei Kritiken auch rückblickend leitkulturell bis kulturkonservativ motiviert gewesen sein.

Die Vorstellung, wonach ein medial vermitteltes Gespräch gehaltloser ist als eines, bei dem beide Gesprächspartner an einem Ort anwesend sind oder zumindest nicht Fahrrad fahren dabei, ist ohnehin eher zweifelhaft. Mittlerweile hab ich ja auch ein Handy und nutze es eher für kurze Gespräche, wie: „Ich komm mal gleich auf einen Kaffee vorbei, wenn du Lust hast.“ – „Okay.“

Der erste Satz, den der eigentliche Telefonerfinder Philipp Reis 1861 in eine kleine Holzkiste mit eingebautem Mikrofon gesprochen hatte, lautete übrigens „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ und wurde am anderen Ende der Leitung falsch verstanden.

Alles ist rasant. Anfang 1999 gab es zum Beispiel 13 Millionen Handys in Deutschland, Ende 99 waren es 21 Millionen, mittlerweile sind es etwa 40 Millionen. 1996 erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GFDS), die Bezeichnung „Handy“ solle gefälligst aus dem deutschen Alltagswortschatz verschwinden, und suchte vergeblich nach einer „solideren, ernst zu nehmenden Bezeichnung“. Komisch eigentlich, denn das Wort „Handy“ ist eine deutsche Erfindung und wird nur hier so genannt. In den USA, in denen das Handy nicht so erfolgreich ist, heißen sie mobile phone oder so.

Früher scherzten Jungkolumnisten über Jungmanager, die sich ohne ihr Handy ganz nackt vorkommen würden; im letzten Sommer telefonierte man auch im Nacktbadebereich des Müggelsees. Die Telefonierbegeisterung ist bei den Jugendlichen am größten, stürzt sie und ihreEltern ins Unglück und bringt die Börse zum Brummen. Vor allem SMS, denn da sind die Gewinnspannen am größten. Mit den kleinen, oft von zarten Gefühlen motivierten Briefchen verdienen die Betreiber Milliarden am Taschengeld kommunikationsinteressierter Kinder!

Auf der Free-SMS-Internetseite gibt es 5.000 verschiedene „Handysprüche“. Im vergangenen Jahr wurden 5 Milliarden SMS verschickt; für dieses Jahr rechnet man mit 20 Milliarden! Man kann’s natürlich inzwischen auch umsonst übers Internet – Free SMS usw. – haben, doch da raten die Verbraucherzentralen ab. Außerdem bringt es auch nicht so viel Spaß. Am meisten Spaß macht es, exakt 160 Anschläge lange, haikumäßige SMS-Gedichte zu schreiben.

Ich entschied mich für Mannesmann, weil meine Freundin da auch ist, und wählte ein Nokia, weil ein Freund dort Aktien hat. In der Zeitung stand, dass Handys meine Hirnströme beeinflussen würden und die Amis einen ab nun orten und abschießen können, wenn es ihnen gefällt. Die Gebrauchsanleitung war gar nicht schwer. Man kann zum Beispiel eingeben, wie man von seinem Handy begrüßt werden will. Dazu spaltet man sich in zwei Teile. Während das eine Ich zum Beispiel Fernsehen guckt, denkt sich das andere eine Begrüßung aus, um das erste Ich dann Tag für Tag, 24 Monate lang, mit einem „Hallo“ oder „Wie geht’s?“ oder „Wollen wir kiffen?“ freundlich zu überraschen. Anfangs gibt es immer Probleme: Ständig vergisst man sein Handy zu Hause. Überall klingeln dann die Telefone, und man fühlt sich sehr allein.

Am schlimmsten, wenn man es mal mitgenommen hat und in idealer Angerufenwerden-Stimmung ist, allein an einem gedecktem Tisch im schönen Domäne-Kaufhaus am Halleschen Tor zum Beispiel. Und es klingelt – von fern, denn man hat seinen Anorak natürlich so hingelegt, dass er das Klingeln abdämpft, und es dauert zwei Klingeln, bis man das als das Klingeln des eigenen Telefons identifiziert hat, und es dauert noch mal zwei, drei Klingeln, bis man das Telefon, das neben den „Pensées“ Pascals, die man im Mülleimer gefunden hat, tief in der Anoraktasche liegt, zu fassen gekriegt hat. Als man dann nach zwei nervösen Fehltippern endlich abgenommen und überhastet irgendeine Unsinnsbegrüßung gesprochen hat, ist natürlich niemand mehr dran. Dann schickt man halt eine SMS, in der man darauf aufmerksam macht, dass hier im Domäne-Kaufhaus gerade die „Sra Indra Westernshow“ mit Messerwerfen gastiert und dass das toll ist.

Der Dichter Rainald Goetz sagte, er finde Handys ganz toll. Sie erfüllten sozusagen die Idee des Telefonierens. Beim Telefonieren ginge es ja leitmotivisch sozusagen darum, mit jemandem zu sprechen, unabhängig davon, wo der gerade ist. Er wunderte sich allerdings darüber, dass das Display immer oben ist und nie unten. Fürs SMS-Tippen sei es doch viel besser, wenn die Handytastatur oben wäre, sagte er.

Ich bin da eher unentschieden, finde es aber auch komisch, dass es tausend verschiedene Handymodelle gibt, aber keins, bei dem die Tastatur oben ist. Goetz hat aber gar kein Handy. Begründung: Er schleppe eh schon immer so viel mit sich rum, zum Beispiel Kamera, Notizblock, Brieftasche, Zigaretten.

Das Handy unterstützt das seit der so genannten Vereinigung seltener gewordene kurze, spontane Beisammensein, denn wenn man vom Handy aus anruft, einen gemeinsamen Nachmittagskaffee intendierend, ist es höflicher, als wenn man an der Tür klingeln würde.

Ganz allein an einem Tisch in der Sonne vor einem französischen Café und superentspannt wie in der Werbung bringt Handytelefonieren wahrscheinlich am meisten Spaß. Nachdenklich auf einem Friedhof spazieren gehend, kann es auch sehr schön sein, mit einem anderen zu plaudern, der am besten auch irgendwo grade allein herumrennt. Immer wieder hört man auch vom schwächer werdenden Klingeln im Sarg eines grade unter die Erde gebrachten Menschen. Viele entwickeln ein inniges Verhältnis zu ihrem Mobiltelefon. Zum Beispiel der 17-jährige Israeli Guy Akrish, der im August 1998 bei einem Autounfall ums Leben kam. Er war ein leidenschaftlicher Telefonierer. Deshalb wurde seine Grabplatte als Mobiltelefon gestaltet. „Hallo, hier spricht Guy. Wie geht’s?“, lautet eine der Inschriften.

Auf dem Anrufbeantworter sagte die Kollegin, sie sei enttäuscht, dass ich nun ein Handy habe. Es sollte, glaube ich, ein Witz sein, klang aber fast so, als wenn sie es tatsächlich so meinte. Komisch eigentlich, dass Handys auch nicht glücklicher machen.

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