: Unverschämtheit unter dem Haifisch
■ SPD–Landesparteitag: Neue Investitionspolitik, Gewoba bleibt, „aktivierender Sozialstaat“ fliegt raus und Scherf macht weiter
Nirgendwo besser als „unter der Spitze dieses Haifisches“, deklamiert SPD-Landesvorsitzender Detlev Albers mit Tremolo in der Stimme, könne man die „Zukunft gestalten“. Die SPD ist zum Landesparteitag zusammengekommen. Unter Albers' „Haifisch“, im Atlantic-Hotel am Universum, diskutiert Bremens herrschende Partei am Samstag zwei Anträge mit dem vollmundigen Titel „Zukunft gestalten“ – der eine vom Landesvorstand, der andere vom Unterbezirk Bremen-Stadt, verschieden in wesentlichen Punkten. Und sie diskutiert die Personalie Scherf.
Henning Scherf, Senatspräsident, Bürgermeister, Missachter von Mitbestimmungswünschen der Partei, zeigt sich angesichts seines Vorpreschens mit dem Senat in Sachen Privatisierung der Hafenverwaltung nur vordergründig reuig. „Ich hab' verstanden, dass Ihr es schwer ertragt, wenn ich mich ein bisschen breiter mache und demonstrativ auf große Projekte konzentriere.“ Ein Bekenntnis, dass Alleingänge wie „in dieser Hafengeschichte“ künftig unterblieben, gibt es nicht. Im Gegenteil: „Ich weiß, das darf man nicht wiederholen. Oder nicht jeden Monat, sondern sich auf große Fragen konzentrieren.“ Peng.
Es folgen weitere Hiebe – gegen die Jusos: „Ich hab' keine Angst vor den Jusos, sondern davor, dass die Jusos 'ne kleine Sekte sind.“ Oder gegen die Kritiker externer Beratungsfirmen: „Es gibt Sozialdemokraten, die glauben, sie können alles.“ Oder gegen die, die permanent die Kandidatenfrage 2003 stellen. Wenn's denn so weit sei, dann „drängel ich nicht. Ich bin doch nicht einer, der dann nicht weg will.“
Der Beifall ist mau, das Gemurre aus den Delegiertenreihen groß, und die „Sekte“ pariert Juso-Chef Thomas Ehmke – schwarzes Sacko, schwarzes Hemd und dunkelrote Krawatte – markig: „Du kannst dich nicht hierher stellen und sagen: gemeinsam, und dann den anderen sagen, dass sie bitte nicht mitmachen bei gemeinsam.“ Scherf scheint amüsiert, und als der leicht gerötete Ehmke wieder sitzt, dreht Scherf sich um und schüttelt dem Nachwuchs die Hand.
„Niemand kann so schön lachen und freundlich sein und gleichzeitig so unverschämt sein“, kommentiert Jürgen Maly Scherfs Worte und unterstreicht, dass in Sachen Investitionen die Zinssteuerquote – die Quote, die die Ausgaben von Steuereinnahmen für den Schuldendienst bezeichnet - nicht steigen dürfe. Genau das hat der Unterbezirk Bremen-Stadt am vergangenen Wochenende beschlossen, aber genau dieser Passus fehlt im Leitantrag des Landesvorstands. Joachim Schuster vom Landesvorstand begründet auch, warum: „Ich wehre mich dagegen, die Zinssteuerquote in den Antrag reinzuschreiben, die wir nicht steuern können. Wir sind doch nicht die Europäische Zentralbank.“ Das sieht die Basis offenbar anders und drückt den Satz „Der Parteitag hält am Ziel eines weiteren Abbaus der Zinssteuerquote fest“ in den Leitantrag.
Außerdem im Antrag, den die Delegierten mit nur wenigen Gegenstimmen annehmen: eine Umsteuerung der Investitionspolitik. Hin zu mehr Stadtentwicklung und „großstädtischer Infrastruktur“, zu Bildung und Wissenschaft, weg von Großprojekten im Bereich Tourismus oder Verkehrsinfrastruktur. Die originellste Begründung dafür, dass auch die City attraktiver werden müsse, liefert wohl Bildungssenator Willi Lemke: „Weil ich es nicht ertragen kann, dass die Frauen nach Oldenburg oder nach Hamburg fahren.“ Zum Einkaufen. Die Frauen.
Nach der Zinssteuerquote folgt dann eine weitere Ohrfeige von der Rest-SPD gegenüber ihrem Vorstand. Die Leitlinien des Umbaus des Sozial- und Arbeitsressorts gemäß der Motti „aktivierender Sozialstaat“ und „Fördern statt fordern“ werden trotz eines innigen Plädoyers von Sozialhilfesenatorin Hilde Adolf – „das soll nicht pures Gängeln oder Drücken sein, sondern Unterstützung von Selbsthilfepotenzialen“ – rausgekegelt. Zugunsten der Formulierung des Unterbezirks Bremen-Stadt: „Der viel beschworene aktivierende Staat verkennt, dass die Aktivierungspotenziale in unserer Gesellschaft nicht gleichermaßen verteilt und vorhanden sind ... Wir setzen dem aktivierenden Ordnungsstaat den aktiven Sozialstaat entgegen.“
Schließlich die Gewoba. Bei nur einer Enthaltung und ohne Gegenstimme beschließen die Delegierten, was ihnen ihr baupolitischer Sprecher Carsten Sieling vorgibt und Jürgen Maly volksorientiert ergänzt: 50,1 Prozent bleiben wie gehabt beim Land. Die bei der BIG geparkten 24,2 Prozent sollen – auch wie gehabt – weiterverkauft werden oder an die Börse gehen. Natürlich nur unter der Garantie, dass die Gewoba „in ihrer Form erhalten bleibt“. Partner, die nur auf Gewinne aus seien, so Sieling und mit ihm der Parteitag, seien unerwünscht. Basisorientiert wird die Angelegenheit dadurch, dass der Parteitag beschließt, beim Börsengang Anteile an MitarbeiterInnen, MieterInnen und BürgerInnen bevorzugt zu verkaufen. sgi
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