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Bertis Suche nach dem Präfix

Nach dem 3:1-Auswärtserfolg von Bayer Leverkusen beim Hamburger Sportverein sonnt sich „Bundesberti“ im Licht seiner Vorgänger, übt präsidiale Gesten und wartet auf neue Spitznamen

aus Hamburg CHRISTOPH RUF

Reiner Calmund hat offenbar einen Hang zum Sadismus. Erst entzieht er „Bundes-Berti“ durch die Verpflichtung als Vereinstrainer mit dem Präfix eine seiner wenigen charakteristischen Eigenschaften. Und dann plündert er mit den künftigen Co-Trainern Pierre Littbarski und Toni Schumacher auch noch die halbe Ahnengalerie des ungeliebten Kölner Nachbarn. Wäre Willy Millowitsch nicht bereits verstorben – bei Bayer 04 würde er noch Verwendung als Pressesprecher finden. Zumindest, wenn sich die Kölner Lokalpresse darüber pflichtschuldig echauffieren würde.

Um zu erkunden, ob sich aus dem netten Mann aus Korschenbroich über Nacht ein „Bayer-Berti“ machen ließe, versammelte sich am Samstagabend eine Vielhundertschaft Journalisten im Volksparkstadion. Und nicht wenige davon warteten darauf, das Straucheln der vom Pech verfolgten Leverkusener vermelden zu können: In letzter Sekunde die Meisterschaft verdaddelt, zwei Klassetrainer durch Drogen (Daum) und penetranten Erfolg (Völler) verloren. Und jetzt noch Berti. Der vergeigt beim HSV, der gerade in Köln (sic!) untergegangen war. Und das mit der halben Kölner Sporthochschule (neben den FC-Heroen auch noch der Ex-Fortune Wolfgang Rolff ) im Endlos-Trainerstab.

Schöne Geschichte. Eigentlich. Denn bereits nach 56 Sekunden drohte die Pointe versaut zu werden. Nach einem Sololauf von Robson Ponte sorgte Paulo Rink per Kopf für Totenstille im fast ausverkauften Rund. Dass sich daraufhin zunächst eine muntere Begegnung entspann, war auch Referee Markus Merk zu verdanken. Der Sopranissimo schaffte das Kunststück, zahlreiche Regelverstöße konsequent zu ahnden, ohne durch allzu kleinliche Regelauslegung den Spielfluss zu stören.

Auch die Gastgeber erweckten in der ersten halben Stunde nicht gerade den Eindruck, als hätten sie die drei Punkte bereits vor dem Anpfiff abgeschrieben. Besonders Roy Präger stellte die Leverkusener Abwehr vor massive Probleme und erzielte per Kopf den Ausgleich (10), bevor er sich dem Kollektivdruck beugte. Neben dem mitleiderregenden Tony Yeboah wurde auch der Brandenburger zusehends lethargischer. Und so kam es, dass eine Aktion des Keepers aus der 33. Minute zur bemerkenswertesten Einzelleistung eines Hamburgers wurde.

Hans-Jörg Butt aus Großenkneten bei Oldenburg sah sich bemüßigt, den gebürtigen Brasilianer Rink im eigenen 16-er auszuspielen – ein blasphemisches Unterfangen, das Letzterer mit dem 1:2 ahndete. Das wiederum bot Butts Pendant, Adam Matysek, die Gelegenheit, nach Schlusspfiff zigfach zu bekunden, der Fauxpas seines Nachfolgers in spe erfülle ihn allenfalls mit Mitgefühl.

Solch noblen Gefühlsregungen hätte in der zweiten Hälfte die gesamte Hamburger Mannschaft verdient gehabt: Nur selten erweckte sie den Eindruck, sich gegen die drohende Niederlage stemmen zu können. Umsichtig dirigiert von Jens Nowotny konterten sich stattdessen die Rheinländer gefährlich vor Butts Kasten. Der war in der 73. Minute machtlos – das 1:3 durch Olivier Neuville bedeutete den verdienten Endstand.

Und während die Hamburger Spieler wortlos (Hollerbach, Yeboah) beziehungsweise aussagelos (Butt) vom Feld schlichen, zeigten die Angestellten des frisch gebackenen Tabellenführers aus Leverkusen Mut zum Selbstbewusstsein: Es klinge ja „makaber“, befand Jens Nowotny, „aber Daum hat uns eingebläut, dass es für uns normal sein sollte zu gewinnen“. Erst recht, so der pflichtschuldige Nachschub, wo Christoph Daums Nachnachfolger doch so viele „Einzelgespräche geführt“ habe.

Auch der Angesprochene gab sich daraufhin großherzig: Lob und Dank an Völler („hervorragende Arbeit“) und Daum („Moral der Mannschaft intakt“), Lob und Dank an sich selbst („wäre der falsche Mann, wenn ich nervös gewesen wäre“). Welches Präfix aber sollte der Boulevard denn nun vergeben? Gar das des „Meister-Bertis“? „Wenn die anderen uns lassen, werden wir uns da oben festsitzen. Das ist normal in diesem Geschäft.“ Uff, zumindest, was die Rhetorik anbetrifft, bleibt alles beim alt Hergebrachten: „Bundesberti“ ist „Bundesberti“ – auch in Leverkusen unterm Bayer-Kreuz.

Hamburger SV: Butt - Hertzsch, Panadic, Hoogma - Töfting, Sandmann, Hollerbach (62. Ketelaer) - Barbarez - Präger, Yeboah, Mahdavikia Bayer Leverkusen: Matysek - Zivkovic, Nowotny, Robert Kovac, Rink (80. Kirsten) - Ojigwe, Ramelow, Vranjes (67. Schneider) - Ze Roberto - Neuville, Ponte (85. Hoffmann) Zuschauer: 49.000; Tore: 0:1 Rink (1.), 1:1 Präger (10.), 1:2 Rink (33.), 1:3 Neuville (72.)

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