Miss Thießens erster Fall

Rätsel um Glasrosette aus den Michel-Katakomben gelöst: „Triumph des Christentums“ aus Hammerbrook  ■ Von Nicole Vrenegor

Ein ganz normaler Morgen in der Küche der Familie Thießen: Er brütet über der Bild, sie linst über seine Schulter – und macht plötzlich eine große Entdeckung: „Das ist ja unser Kirchenfenster“ ruft sie. Ihr Mann winkt ab, doch Margrit Thießen meldet sich auf den Suchaufruf und löst damit das Rätsel der Glasrosette, das die Hamburger Glaser-Innung schon seit Jahren beschäftigt. Das Fenster, das 1975 in den Katakomben des Michels gefunden wurde, konnte bisher nicht identifiziert werden: Herkunft, Name, genaues Alter, – alles unklar. Nur, dass es sehr alt und sehr wertvoll war, erkannten die Glaser und res-taurierten das Fenster in monatelanger Arbeit. Für rund 250.000 Mark bestückten sie das fünf mal fünf Meter riesige Glasgebilde mit neuen Scheiben und stärkeren Streben (taz hamburg berichtete).

Thießen hat nun die Vergangenheit des Fensters erhellt: Es heißt „Triumph des Christentums“ und befand sich seit 1901 in der St. Annen-Kirche in Hammerbrook. Das Bild zeigt den auferstandenen Christus mit seiner Gefolgschaft. „Das bunte Rosettenfenster hat sich so bei mir eingeprägt, das werd' ich mein Leben lang nicht vergessen“ erinnert sich die 65-Jährige an die Gottesdienste ihrer Kindheit. Als sie sechs Jahre alt war und ein noch kleinerer Neffe getauft wurde, habe sie von der Zeremonie gar nichts mitbekommen, so schön fand sie die Rosette. Thießen glaubt sich zu erinnern, dass das Fenster während des Zweiten Weltkrieges eingemauert war, und deshalb die Bombenangriffe unbeschadet überstand. Was mit den übrigen drei Rosettenfenstern der St. Annen-Kirche geschah, weiß die Zeitzeugin ebenfalls: „Wir Kinder spielten in den Trümmern der Kirche. Die anderen Fenster waren schon kaputt.“

Nach dem Krieg wurde die Kirche abgerissen. Das Fenster verschwand und tauchte 25 Jahre später in den Tiefen der Michel-Katakomben wieder auf. Wie es dahin kam, ist noch genauso unklar, wie die Zukunft der Rosette. Wo sie eine neue Heimat findet, entscheiden Glaser-Innung und Kirchenkreis Alt-Hamburg gemeinsam. „Wir brauchen einen großen Raum, am besten eine Kirche, damit die Rosette auch richtig zur Geltung kommt“ sagt der Obermeister der Glaser-Innung Hamburg Udo Bammann.

Auch Thießen freut sich auf den Tag, an dem wieder Sonnenstrahlen das historische Fenster erleuchten. „Das ist wunderschön“ sagt die Amateurdetektivin.