: Ein unabhängiger Liberaler
Wie kaum ein anderer Verleger hat Gerd Bucerius die politische Publizistik der Bundesrepublik Deutschland geprägt. Sein widersprüchliches Leben als Politiker und „erster Mann“ der „Zeit“ bilanziert jetzt der Soziologe Ralf Dahrendorf in einer ebenso klaren wie spannenden Biografie
von RUDOLF WALTHER
In seinem Abituraufsatz schrieb er 1924 über „Durchschnittsehen der bürgerlichen Convenienz“ den Satz: „Tags Zank und Streit, des Nachts treibt die gemeinsame Geschlechtsnot die Gatten zusammen.“ 1946 kaufte er mit drei Partnern die Lizenz für einen Zeitungsverlag, in den jeder 7.500 Reichsmark investierte. Als er am 29. 9. 1995 starb, gehörte ihm die renommierte Wochenzeitung längst allein, und er war ein steinreicher Mann geworden: Gerd Bucerius – Anwalt, Politiker und Verleger der Zeit. Passt ein solches Leben in eine sachliche Biografie oder bietet es nicht sogar Stoff für einen großen Gesellschaftsroman? Ralf Dahrendorf hat sich für eine trocken bilanzierende Biografie entschlossen. Und dennoch ist es ihm gelungen, das romanhafte Leben von Bucerius in all seiner Rätselhaftigkeit und Widersprüchlichkeit überzeugend darzustellen.
Der Verleger gehörte mit Rudolf Augstein, Henri Nannen und Axel Springer zu den prägenden Gestalten der bundesdeutschen Presselandschaft. Und im Unterschied zu den anderen war Bucerius sogar „Herr über die beiden Todsünden der Politiker und Journalisten, nämlich über Eitelkeit und über Opportunismus“ (Helmut Schmidt). Was er als beargwöhnter, weil mit einer Frau jüdischer Herkunft verheirateter Anwalt in der Nazizeit praktizierte – „ich war einer, der sich bückte und drückte, aber nicht nachgab“ –, prägte sein ganzes politisches, geschäftliches und persönliches Leben.
Als Sohn eines nationalliberalen Anwalts und Politikers am 19. Mai 1906 in Hamm geboren, studierte auch Gerd Bucerius Jurisprudenz. Nach der Referendarszeit heiratete er 1932 gegen den Willen der Eltern die Jüdin Gretel („Detta“) Goldschmidt. Obwohl er ein Jahr später in die Kanzlei des Vaters eintrat, hat dieser die Frau seines Sohnes zeitlebens – er starb 1945 – nicht ein einziges Mal gesehen. Die Kanzlei lief gut, und das junge Ehepaar reiste bis 1938 trotz rigider Devisenbestimmungen regelmäßig in die mondänen Wintersportorte Davos und Klosters oder nach Ascona. Wegen der nationalsozialistischen Rassenpolitik brachte Bucerius seine Frau im November 1938 nach London in Sicherheit, wo sie sich als Kellnerin durchschlug. Noch vor Kriegsende verband sich Gretel Goldschmidt mit einem anderen Mann, und Bucerius verliebte sich in Gertrud Ebel-Müller, genannt Ebelin, die er später heiratete und der er immer freundschaftlich verbunden blieb, obwohl er nach 1968 mit Hilde von Lang zusammenlebte.
Die Lizenz für Die Zeit erhielten Bucerius und seine Parntner dank der Vermittlung des ehemaligen Auschwitz-Häftlings Erik Blumenfeld, der später CDU-Vorsitzender in Hamburg wurde. Zum ersten Mal erschien die Zeitung am 21. Februar 1946. Doch darum kümmerte sich Bucerius zunächst nur nebenbei, denn er wurde nacheinander Bausenator in Hamburg, Mitglied im Frankfurter Wirtschaftsrat und schließlich (bis 1962) Abgeordneter für die CDU im Bonner Bundestag. Bucerius war ein strammer Kämpfer für Lastenausgleich und soziale Marktwirtschaft und insofern ein Mann Ludwig Erhards. Aber der Verleger behielt seine Unabhängigkeit und forderte 1961 mitten im Wahlkampf den Rücktritt des greisen Adenauer. Das Ende seiner politischen Karriere war damit vorgezeichnet.
Politisch driftete die Zeit unter dem Chefredakteur Richard Tüngel nach rechts ab, und auch ökonomisch stand es schlecht um sie, ehe Bucerius und Co-Verleger Schmidt di Simoni 1948 beim Stern von Henri Nannen einstiegen. Dank Bucerius’ legendärer Fähigkeit, juristische Verträge zu gestalten, gelangte er bis 1951 zu einer 87,5 Prozent starken Beteiligung am florierenden Stern, der bis 1972 permanent die Defizite der Zeit ausgleichen musste. Die durchaus unfreundliche Übernahme zog langwierige Prozesse und nicht weniger als sechs Schiedsgerichtsverfahren über die Vertragsauslegung nach sich. Am Ende stand Bucerius 1957 als Sieger und faktischer Eigentümer von Zeit und Stern fest, die ehemaligen Mitbesitzer erhielten Abfindungen. Im Unterschied jedoch zu den rein kommerziell motivierten „Ausdehnungstendenzen des Hauses Springer“ und dessen „flegelhafter Machtbekundung“ (Bucerius) ging es dem gewieften Juristen, genialen Steuersparer und ausgefuchsten Kaufmann immer auch um die Erhaltung und den Ausbau der Pressefreiheit. Bei allem verlegerischen Autokratismus („in der Zeit also bin ich der erste Mann“) wusste Bucerius immer zu trennen zwischen seiner Arbeit als Verleger und derjenigen der Redaktionen. Er mischte sich laufend mit Lob und vor allem mit Kritik ein, versuchte aber nie, die Linie der Zeit zu bestimmen oder dem herrschenden Zeitgeist anzupassen. 1966 schrieb er an Axel Springer, der „seine“ Redaktionen an der ganz kurzen Leine führte: „Eine Macht, wie Sie sie aufbauen, verletzt die Verfassung.“ Die Hetze der Springerpresse gegen die Studentenbewegung von 1968 beantwortete Bucerius mit Spenden in der Höhe von 80.000 Mark für die juristische Verteidigung von angeklagten Studenten und für die medizinische Versorgung des Attentatsopfers Rudi Dutschke. Auch Heinrich Böll, der im „deutschen Herbst“ 1977 unter Dauerbeschuss von rechts kam, unterstützte er diskret, obwohl er politisch mit Böll so wenig einig war wie mit der APO.
Bucerius’ größte Sorge war immer, die ökonomische Basis der Zeit dauerhaft zu sichern. Dazu führte er Fusionsverhandlungen mit Rudolf Augstein, die jedoch scheiterten. Die Zusammenarbeit mit Richard Gruner und John Jahr klappte, ab auch die Gruner + Jahr GmbH & Co, die zum 1.7.1965 gegründet wurde, löste die Probleme nicht. „Der Tumult“ – im verlegerischen wie im redaktionellen Bereich – „nahm bei Bucerius nie ein Ende“, auch nicht nach der Fusion mit Reinhard Mohns Bertelsmann-Konzern 1969, in die Die Zeit nicht einging. Bucerius sorgte dafür, dass das Blatt nach seinem Tod für 140 Millionen Mark an den Verleger Georg von Holzbrinck verkauft wurde.
Dahrendorf gelingt es, die komplizierten juristischen und finanziellen Transaktionen übersichtlich mit der Darstellung der publizistischen und politischen Entwicklung im Lande zu verknüpfen – und elegant mit den biografischen Wechselfällen im Leben des großen Verlegers zu verbinden. Es spricht für die Qualität des Buches, dass es die FAZ erst seriös besprechen ließ, um dann einen Tag (!) später einen ressentimentgeladenen Verriss aus der Hand des rechten Grabenkriegers Friedrich Karl Fromme hinterherzuschicken. Unverbogene Liberale mag man dort nicht.
Ralf Dahrendorf: „Liberal und unabhängig. Gerd Bucerius und seine Zeit“, C. H. Beck, München 2000, 301 Seiten, 48 DM
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