piwik no script img

Etwas Schlimmeres als Liebeskummer

Enthaltsamkeit macht schön und alternativ sein ist prima: Romed Wyders Film „Pas de café, pas de télé, pas de sexe“

Die Schweiz ist schon ein lustiges Land. In den Freibädern von Bern, die keinen Eintritt verlangen, ist das Wahlrecht für Frauen noch nicht verwirklicht: Nur Männer dürfen sich hinter einem Zaun nackt sonnen. Auch die Alternativszene der Schweiz wirkt, als sei man als Hausbesetzer mit Palästinensertuch in den Achtzigern als moralischer Sieger hängen geblieben.

Wer den Schweizer Film „Pas de café, pas de télé, pas de sexe“ von Romed Wyder sieht, wird zurückgebeamt in chaotische WG-Küchen und ein aus heutiger Sicht nicht mehr so richtig beneidenswert luftiges Lebensgefühl. In Wyders Dreiecksgeschichte um zwei Männer und eine für Hausbesetzer etwas zu schicke, hübsche Blondine, beschleicht einen der nicht ganz neue Horror, man sei vielleicht damals in seiner radikalen Ablehnung bürgerlicher Schrankwände, sauberer Teller und Fleisch in der Suppe noch spießiger gewesen, als die, die man so sehr bekämpfte.

Im Interview sagt Wyder, dass es in der reichen Schweiz heute recht einfach sei, als Hausbesetzer zu leben. Interessant wäre vielleicht gewesen, wenigstens ein paar Widersprüche einer solchen Existenz zu schildern. Etwas Schlimmeres als Liebeskummer müsste es doch sogar in Genf geben.

Wenn Arno und Nina wie besoffen lächelnd durch Genf radeln, dann kommt das nicht von dem schaumlosen Schweizer Bier. Sie sind so glücklich, die beiden. Nur Maurizio, der ursprüngliche Macker von Nina, weiß noch nichts von seinem Unglück. Aber warum hat er auch seinem Freund Arno die Scheinheirat mit seiner Nina angeboten? Weil Nina eine Aufenthaltsgenehmigung braucht und Arno zwar süß aussieht, aber absolut harmlos zu sein scheint. Der Megasofti trinkt keinen Kaffee, guckt nicht fern (Freunde von mir in der Schweiz stellen immer noch jeden Abend die Glotze zurück in den Keller, damit sie nicht in Versuchung geraten) und vögelt nicht. Zunächst nicht mal mit Nina. Wie romantisch, wie doof!

Besonders schlimm wird’s, wenn der selber in einem besetzten Haus wohnende Wyder versucht, das Alternativlebensgefühl einzufangen und Arno und Kumpels ins Musikstudio schickt. Wenn auf dem Weg dorthin Autos im Weg stehen, betätigt sich Arno natürlich als Car-Walker. Irgendwer macht eine Schrei-Therapie, und dann traut sich Wyder auch noch, uns die Fontänen seiner Heimatstadt als Kulisse für verliebte Abendspaziergänge zu präsentieren. Mitten in der Stadt gehen die drei dann natürlich nachts noch nackt baden – „die Freiheit nehm ich mir“. Dazu kreiselt hübsch ein Riesenrad. Schließlich geht’s irgendwann rauf in die Berge, zum Hochzeit feiern. Alle sind prima multikultimäßig drauf, singen, tanzen und lachen. Liebe Schweizer, so wird das nichts mit Europa. Aber toll, dass eure Ninas einfach so auf eigenes Risiko nachts nackt baden. Das ist doch immerhin ein Anfang.

ANDREAS BECKER

„Pas de café, pas de télé, pas de sexe“. Regie: Romed Wyder. Mit Vincent Coppey, Alexandra Tiedemann, Pietro Musillo. Schweiz 1999, 87 min, im fsk und Hackesche Höfe 5

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen