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Griechenland blockiert die EU

Das Dokument zur Beitrittspartnerschaft mit der Türkei ist immer noch nicht verabschiedet. Athen besteht auf Nachbesserungen zu Zypern und Ägäis

Zum ersten Mal wird weiten Kreisen in der Türkei bewusst, dass es nun ernst wird mit den von der EU angemahnten Reformen

ISTANBUL taz ■ Mit einem Eklat endete am Dienstagabend ein Treffen der EU-Außenminister in Brüssel, bei dem die Minister die Beitrittspartnerschaft mit der Türkei verabschieden wollten. Griechenlands Außenminister Papandreou legte gegen das Papier der EU-Kommission sein Veto ein, nachdem es ihm nicht gelungen war, seine Kollegen davon zu überzeugen, es um eine Passage zum türkisch-griechischen Ägäis-Konflikt nachzubessern. Dem Treffen war am Wochenende eine Intervention des türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit vorangegangen, der damit gedroht hatte, den türkischen Beitrittsantrag zurückzuziehen, falls die EU dem Drängen Griechenlands nachgeben würde und die Klärung der Zypern- und Ägäisstreitigkeiten zur Vorbedingung für Beitrittsgespräche macht.

Tatsächlich verdeckt der neuerliche Disput mit Griechenland die eigentlich spannenden Debatten, die durch das Beitrittspartnerschaftsdokument ausgelöst wurden. Als der für Europafragen zuständige Mesut Yilmaz die Forderung der Kommission nach kulturellen Rechten für Minderheiten aufgriff und erklärte, die Regierung solle die Voraussetzungen schaffen, damit das Staatsfernsehen auch in kurdischer Sprache senden kann, gab es einen Aufschrei beim ultranationalistischen Koalitionspartner MHP. Auf die Forderung, den Nationalen Sicherheitsrat in ein reines Konsultativorgan umzuwandeln, reagierten die Militärs zunächst nicht, ließen aber einen Ex-General erklären, die EU müsse einsehen, dass die militärische Situation der Türkei mit der Frankreichs nicht vergleichbar ist.

Zum ersten Mal nach jahrelangem Vorgeplänkel wurde weiten Kreisen in der Türkei bewusst, dass es nun ernst wird mit den Reformen. Mit Begeisterung biss man sich deshalb an der Zypernfrage und der Resolution des Europaparlaments zum Genozid an den Armeniern fest. Das Fass ist voll, hieß es, wenn die Griechen nun noch mit der Ägäis kommen. „Das ist alles Wasser auf die Mühlen der Hardliner“, stellte der Komponist und Schriftsteller Sülfi Livanelli, der sich seit Jahren um eine Aussöhnung mit Griechenland verdient gemacht hat, resigniert fest.

Seit gestern sind Vertreter des Europäischen Parlaments in der Türkei. Delegationsleiter Daniel Cohn-Bendit machte deutlich, dass die Regierung in Ankara sich auf Dauer nicht hinter angeblichen Tabuthemen verschanzen kann. Die griechische Seite scheint entschlossen, bereits jetzt die Probe aufs Exempel zu machen. Papandreou kündigte an, er werde am 4. Dezember, wenn erneut über die türkische Beitrittspartnerschaft abgestimmt wird, auf seinen Forderungen bestehen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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