Halbherziger Schutz vor BSE

Die EU-Landwirtschaftsminister haben Schnelltests an älteren toten Rindern beschlossen. Das ist besser als nichts, aber bei weitem nicht gut genug

von RALF SOTSCHECK

Wenn es um BSE-Kosmetik geht, ist die Europäische Union unschlagbar. Gestern Früh haben die EU-Landwirtschaftsminister nach einer 17-stündigen Sitzung beschlossen, ab 1. Januar nächsten Jahres alle verendeten und notgeschlachteten Rinder im Alter von mehr als 30 Monaten auf bovine spongiforme Enzephalopathie, den Rinderwahn, zu untersuchen. Ab 1. Juli werden möglicherweise alle mehr als 30 Monate alten, für den Verzehr bestimmten Tiere getestet. Der französische Landwirtschaftsminister und EU-Ratspräsident Jean Glavany gratulierte sich und seinen Kollegen zum „ungewöhnlichen Erfolg“.

Es ist ein halbherziger Schritt, der suggerieren soll, dass die Politiker etwas gegen die Krankheit unternehmen. Die meisten Tiere landen jedoch auf dem Mittagstisch, bevor sie 30 Monate alt geworden sind. Grund für die Festlegung ist, dass der von der EU favorisierte 200 Mark teure Schnelltest erst dann reagiert, wenn bereits klinische Symptome aufgetreten sind. Dass der Erreger aktiv ist und Mensch und Tier infizieren kann, bevor diese Symptome auftreten, ist in vielen Versuchen bewiesen.

In Britannien wurden Kälber mit BSE infiziert und im Alter von drei Monaten getötet. Ihre Hirne wiesen nicht die charakteristischen Löcher auf, der Post-mortem-Test erbrachte ein negatives Ergebnis. Dennoch waren die Hirne infektiös. Ähnliche Versuche gab es bei Schafen: Infizierten Tieren nahm man nach 300 Tagen, also nach rund der Hälfte der Inkubationszeit, Blut ab und injizierte es gesunden Schafen. Sie entwickelten die Enzephalopathie.

Bei Rindern beträgt die Inkubationszeit mindestens 40 Monate, wenn der Erreger vertikal übertragen worden ist, also von der Kuh auf das ungeborene Kalb. In diesem Fall würde der EU-Test nicht funktionieren. Lediglich bei Tieren, die sich durch verseuchte Futtermittel angesteckt haben, liegt die Inkubationszeit bei 24 bis 36 Monaten. Tiermehl wird in einigen EU-Ländern auch weiterhin verfüttert. Zu einem Verbot konnte sich der EU-Ministerrat nicht durchringen, dazu ist die Lobby der Industrie offenbar zu stark.

Der britisch-indische Wissenschaftler Harash Narang aus Newcastle sagte gestern zur taz, dass der EU-Beschluss die Bekämpfung der Seuche keinen Schritt nach vorne bringe. „Mit diesem Ansatz müssen sie Rinder bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag testen“, sagte er, „doch die Krankheit werden sie damit nicht besiegen.“ Narang hat einen sensiblen Test am lebenden Tier entwickelt, der auch bei Rindern funktioniert, die jünger als 30 Monate sind, doch die britische Regierung erkennt ihn nicht an. Stichproben mit Hilfe dieses Tests haben ergeben, dass 29 Prozent der Rinder infiziert sind – eine Zahl, die durch französische Untersuchungen bestätigt wird.

Narang sagt, dass man mit Hilfe seines Tests eine BSE-freie Herde aufbauen könnte. Um die Seuche zu besiegen und eine horizontale Übertragung auf verseuchten Weiden zu verhindern, müsste jedoch zusätzlich ein Impfstoff entwickelt werden. Versuche bei Nerzen, Katzen und Kälbern haben ergeben, dass die Tiere stets nur die Enzephalopathie bekommen, mit der sie zuerst infiziert worden sind. Wenn sie also mit der Schafkrankheit Scrapie angesteckt werden, sind sie gegen BSE immun. So wäre die Entwicklung eines Impfstoffs möglich, denn Scrapie, das es bereits seit 250 Jahren gibt, ist für den Menschen ungefährlich, soweit man weiß. Das räumt auch der US-Wissenschaftler Stanley Prusiner ein, der für seine BSE-Prionen-Theorie den Nobelpreis gewann.

Die EU will künftig nur noch gemeinsam gegen BSE vorgehen und nationale Alleingänge vermeiden, beschloss der Ministerrat. Damit hat die Fleischindustrie, die dafür gesorgt hat, dass das Ausmaß des BSE-Problems von Anfang an vertuscht wurde, leichtes Spiel. Sie muss nur die Regierung eines einzigen EU-Landes gefügig machen, um einschneidende EU-weite Maßnahmen zu verhindern.