: Mulmig dämmerndes Zwielicht
■ Per Nørgaards Komposition „Nuit des Hommes“ auf Kampnagel
Das 20. Jahrhundert als ein Weg in die Nacht des Menschlichen auf 60 Minuten komprimiert: Mit Nuit des Hommes kommt im Rahmen der Kulturoffensive Danmark til Hamborg eine weitere Produktion aus Dänemark nach Kampnagel. Im Programm mit „Musiktheater“ bezeichnet, trifft das nur ungenau den offenen Umgang mit den Genres, wie er für neue Produktionen aus Kopenhagen typisch ist und schon bei Operation Orfeo von Hotel Pro Forma beeindruckte. Zwar gilt das Werk als fünfte Oper des wichtigsten lebenden dänischen Komponisten Per Nørgaard, doch es muss mit einer Sängerin, einem Sänger und einem Streichquartett samt Percussion auskommen. Und äußerst wichtig sind bei diesem Spiel um die Zerstörung der Liebe und aller Ideale im Krieg die Videoprojektionen: Eine raffinierte Choreographie der Worte aus den Gedichten von Guillaume Apolli-naire macht aus der in Französisch belassenen Poesie im Hintergrund ein Ballett der Typographie.
Von der Dämmerung des Aufbruchs im chorischen Prolog zur Dämmerung eines grauenvollen Zwielichtes im Epilog geht der Weg der beiden Figuren Alice und Wilhelm. In zwanzig Bildern wird ihr Abstieg von ebenso genussfähigen wie begeisterungsfähigen Idealisten zu skrupellos inhumanen Funktionsträgern und schließlich zu alle Erinnerung verdrängenden Schatten gezeigt. Alice, die zu Beginn noch alle Käfigvögel dieser Welt aufkaufen will, um ihnen die Freiheit zu schenken, wird im zweiten Teil zur rücksichtslosen Kriegskorrespondentin „Ali“ und der mit hochfliegendem Temperament liebende Wilhelm zum Soldaten, der vor nichts mehr Respekt hat.
Mit nervös flirrenden Tönen und expressivem Ausdruck reizt der 1932 geborene Komponist Per Nørgaard die Fähigkeiten des kleinen Ensembles aus, verzichtet aber nicht auf einen darübergelegten elektronischen Soundtrack. Die Lichtregie, Videos und die live-Projektionen von Regisseur Jacob F. Schokking der Compagnie „Holland House“ überformen die Bühne in die Stimmung eines expressiven Schwarz-Weiß-Films der 20er Jahre. So findet die im Jahr 1996 uraufgeführte Kammeroper in Annäherung an Ausdrucksformen dieser ersten Nachkriegsgeneration Bilder für die generelle Schreckenserfahrung des 20. Jahrhunderts.
Hajo Schiff
Holland House: Nuit des Hommes: 24.+25. November, 20 Uhr, Kampnagel, K6. Am 24. November um 19 Ur mit einer Einführung durch den Komponisten Per Nørgaard und den Regisseur Jacob F. Schokking
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