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Neue Fans für den Torpedokäfer

Ausgrabung einer Franz-Jung-Erzählung: Das Literaturforum im Brecht-Haus stellt das Buch „Die Verzauberten“ vor

Auch so kann man also auf die anhaltende Krise der linken Verlagswelt reagieren: Der Basisdruck Verlag in Berlin startet antizyklisch ein Belletristikprogramm. Bereits der erste Titel der neuen Reihe „Pamphlete“ hat es in sich: Mit „Die Verzauberten“ wird eine Erzählung des Schriftstellers Franz Jung erstmals veröffentlicht, und das, obwohl bereits in den Siebzigern eine Werkausgabe herausgebracht wurde und der Hamburger Nautilus Verlag gerade erst seine verdienstvolle Ausgabe mit den Gesammelten Werken Jungs abgeschlossen hat.

Franz Jung war zunächst eine Berühmtheit. Als Expressionist publizierte er in Franz Pfemferts Zeitschrift Aktion erste Texte. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges avancierte er im Umfeld des Berliner Dada und im Kreis der Aktivisten George Grosz und John Heartfield zu einem viel gelesenen Literaten. Doch da er auch Politiker war, organisierte er mit seiner linksradikalen Kommunistischen Arbeiterpartei (KAPD) den Diebstahl eines Schiffes, das er in die Sowjetunion brachte. Ein fast dreijähriger Aufenthalt folgte dortselbst, der für den linksoppositionellen Kommunisten nicht angenehm war. Zurückgekehrt nach Berlin, musste er feststellen, dass seine Form seines politischen Schreibens nicht mehr en vogue war. Jungs Stern sank. Dagegen konnte er auch mit seinem Blatt Gegner nichts mehr ausrichten. Deutschland wurde braun. Jung floh quer durch Europa, entkam nur knapp einem Anschlag und ging schließlich in die USA. Nach dem Krieg brachte ihn auch seine Autobiografie „Der Weg nach unten“ kaum mehr in Erinnerung.

Erst in den Siebzigerjahren wuchs in Ost und West das Interesse an diesem Autor wieder; sowohl als Literat als auch als linksradikaler Denker war Jung gefragt. Heute ist kaum ein linker Autor in Deutschland tätig, der nicht bei Jung nachgeschlagen hätte. Einem breiteren Publikum allerdings blieb Franz Jung weiterhin völlig unbekannt. Und dabei hat er hartnäckige Fans: In Berlin ist die Kneipe Torpedokäfer nach einem seiner Bücher benannt, und ein Kreis um Bert Papenfuß bringt auch wieder regelmäßig einen Gegner heraus. Heute Abend nun können die alten Fans vielleicht neue gewinnen. Im Brecht-Haus wird die kleine Erzählung „Die Verzauberten“ vorgestellt, ein 90-seitiger Text aus der Nachkriegszeit, der sich in Jungs Nachlass fand. Es handelt sich um eine autobiografisch gefärbte Geschichte; Jung erzählt das Leben einer Nada, die sich als Tänzerin verdingen muss und Liebe nur mehr als Mittel gegen Einsamkeit und Geldnot begreifen kann. Es ist eine traurige Geschichte. Und eine moderne Erzählung. Der Erzähler muss sich permanent seines Stils versichern. Jung hat sich an einer Art Protokoll versucht, hat große Teile des Stoffes gerafft, um die Stimmung vermitteln zu können, die in Nadas Welt herrscht. Nie versucht er, Seelenprosa zu schreiben, es wird ganz unverschnörkelt erzählt.

JÖRG SUNDERMEIER

Franz Jung: „Die Verzauberten“. Basisdruck Verlag, Berlin 2000, 100 Seiten, 22 DM.Buchvorstellung mit Walter Fähnders und Ulrich Zieger: Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestr. 125, 20 Uhr

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