: Kopfschuss in der Tiefgarage
Spaniens Ex-Gesundheitsminister Lluch wird von der ETA getötet. Bei den Sozialisten gehörte er zum dialogbereiten Flügel. Genau den wollen die Separatisten treffen
MADRID taz ■ „Er wurde ermordet, weil er genauso dachte, wie ich denke“, schrieb der Sozialist Ernest Lluch in einem Zeitungsartikel, als sein Parteifreund Juan Maria Jauregui im vergangenen Sommer einem ETA-Anschlag zum Opfer fiel. Die baskischen Separatisten scheinen den Text gelesen zu haben. Am Dienstag gegen 21.30 Uhr passten sie Lluch in der Tiefgarage seines Hauses in Barcelona ab. Mit zwei Kopfschüssen streckten sie den 63-jährigen ehemaligen spanischen Gesundheitsminister (1982 bis 1986) nieder. Ihren Fluchtwagen sprengten die Pistoleros keine 500 Meter weiter in die Luft.
Ernest Lluch ist das 21. Todesopfer, seit die radikalen Nationalisten im vergangenen Dezember einen einseitigen Waffenstillstand aufkündigten. Er war das dritte Mitglied der sozialistischen PSOE, das ETA für ihre makabre Kampagne aussuchte.
Der Wirtschaftsprofessor an der Universität in Barcelona gehörte zur alten Garde der sozialistischen PSOE. Den Weg in die Politik fand der Vater von drei Kindern, der mit der ehemaligen Schwägerin des „EU-Außenministers“ und spanischen Sozialisten Javier Solana zusammenlebte, zu Zeiten der Franco-Diktatur. Er wurde mehrmals inhaftiert und mit Berufsverbot belegt. Als Gesundheitsminister in der ersten Regierung von Felipe González sorgte er dafür, dass die Gesundheitsversorgung allgemein zugänglich und kostenlos wurde.
Auch wenn Lluch in den letzten Jahren keine politischen Ämter mehr inne hatte, gehörte er dennoch zu den Vordenkern in der PSOE. Er verbrachte jede freie Minute in seiner Ferienwohnung im baskischen San Sebastián. Dort hatte er vor allem unter den Sozialisten Freunde, die eine erneute Annäherung an die gemäßigte Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) suchen. PNV und PSOE regierten 12 Jahre gemeinsam die konfliktreiche Nordregion, bis 1998 das Bündnis zerbrach und sich die PNV an den politischen Arm von ETA, Herri Batasuna (HB), annäherte.
Genau diesen dialogbereiten Flügel in der PSOE versucht ETA zu schwächen. Im März ermordeten die Separatisten den ehemaligen stellvertretenden, baskischen Regierungschef und Sprecher der Sozialisten im Autonomieparlament, Fernando Buesa, im Sommer den ehemaligen sozialistischen Zivilgouverneur Juan Maria Jauregui.
Die Separatisten begehen auf ihre Art den 25. Jahrestag des Todes von Diktator Franco und der Einführung der Demokratie in Spanien. Dem Mord an Lluch ging ein weiterer Anschlag voraus. Am Dienstag früh beschoss ETA im baskischen Irun ein Polizeirevier mit Granaten. Eines der drei Geschosse hätte fast ein Blutbad angerichtet. Es schlug in einer Schule ein, explodierte aber zum Glück nicht.
„Wir lassen den Ablauf der Feiern nicht von ETA bestimmen“, beschlossen die Präsidentinnen der beiden Parlamentskammern und hielten an der Feierstunde unter Anwesenheit des spanischen Königspaares fest. Während die königliche Karosse durch Madrid rollte, bot sich überall im Land vor den Rathäusern das mittlerweile leider übliche Bild. Die Bürger versammelten sich einmal mehr, um schweigend des ermordeten Lluch zu gedenken und ihrem „Basta Ya!“ – „Schluss jetzt!“ Ausdruck zu verleihen.
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