Paradoxien der Klimapolitik

Der Treibhauseffekt ist inzwischen unumstritten. Trotzdem tun die Politiker dagegen nur wenig. Eine Abkehr vom Öl wäre auch aus sicherheitspolitischen Gründen ratsam

Wir werden uns aufeinen Klimawandel einstellen müssen.Das ist die eigentliche Lektion aus Den Haag

Es ist paradox. Anders als früher wird der Treibhauseffekt als Tatsache kaum noch ernsthaft bestritten. Vorbei die Zeiten, als selbst Blätter wie die Zeit schrieben: „Die These vom Treibhauseffekt liegt in ihren Todeszügen.“ Heute wissen wir es besser – und trotzdem tut sich die Politik so schwer wie nie zuvor, allem voran beim Klimaschutz. Es gelingt nicht, wissenschaftliche Erkenntnisse in Handeln umzusetzen. Die Stimmung ist in diesen Wochen auf dem Klimagipfel in Den Haag jedenfalls auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Kein „Hurraerlebnis“ wie in Kioto werde es diesmal geben, heißt es unter Umweltschützern, stattdessen „Blut, Schweiß und Tränen“.

Selbst wenn alle offenen Details des Klimaprotokolls bis zum Wochenende geklärt werden könnten, selbst wenn anschließend eine ausreichende Zahl von Staaten das Protokoll ratifizieren sollte – auch der weltgrößte Klimasünder, die USA – so bliebe dennoch völlig offen, ob dieses Protokoll je wirklich wirksam werden kann. Die verhandelten Modelle sind inzwischen so komplex, dass die Delegationen Kompromissangebote der Gegenseite zunächst per Computer durchrechnen lassen, bevor sie sich dazu äußern. Einige Inselstaaten lassen sich inoffiziell von Greenpeace helfen, um der Konferenz überhaupt noch folgen zu können.

Die im Namen des Klimaschutzes erdachten Maßnahmen werden immer skurriler: Kanada will Kühen in Uganda Tabletten gegen klimaschädliche Blähungen verfüttern – und zum Ausgleich seine Schlote länger qualmen lassen. Die USA möchten sich die stinknormale forstliche Pflege ihrer Wälder auf ihrem Klimakonto gutschreiben lassen. Japanische Firmen ziehen bereits Eukalyptusplantagen in Tasmanien hoch, die Kohlenstoff binden sollen, um zu Hause mehr Kohle verfeuern zu dürfen. Indien möchte sich den Bau von Umgehungsautobahnen um seine Megastädte als klimaschonende Investition über das Klimaprotokoll finanzieren lassen. Und all solche Maßnahmen sollen an einer Börse als Klimakredite beziehungsweise Verschmutzungsrechte weltweit handelbar sein.

Das alles miteinander zu verknüpfen, Sinnvolles von Unsinnigem zu scheiden, es gegeneinander aufzurechnen und auch noch zu kontrollieren erfordert eine enorme Bürokratie – vergleichbar hiesigen Finanzämtern. Nur: Wie bei den Steuern wird es zwangsläufig viele Schlupflöcher geben – und es ist kaum anzunehmen, dass die UN-Klimabehörde Ökofahnder oder Gerichtsvollzieher losschicken darf. Genau die jedoch bräuchte man: Denn wer glaubt im Ernst daran, dass Länder wie Russland oder die USA sich wirklich für kriminellen Klimaschacher bestrafen ließen?

Klimaverhandlungen sind wohl noch schwieriger als Welthandelsrunden oder Abrüstungsverhandlungen. Dort sind immerhin Wirtschaftspolitiker beziehungsweise Militärs unter sich. In Kioto und Den Haag fechten Umweltschützer einen Kampf gegen die Wirtschaft und alle anderen Politikbereiche. Klaus Töpfer, Leiter der UN-Umweltorganisation Unep, brachte es ganz unpathetisch auf den Punkt: „Wir sprechen hier über nichts weniger als eine Änderung der industriellen Revolution vom Kohlenstoff zu umweltfreundlichen Energien.“ Ein Projekt, an dem sich die Umweltpolitiker der Welt verhoben haben.

Die Industrieländer haben sich in Kioto zu einer Minderung ihrer Emission um 5,2 Prozent bis 2010 verpflichtet. Selbst konsequent in Den Haag umgesetzt, wäre dies nur ein lahmer Anfang. Denn nach Einschätzung von Experten müssen die Industriestaaten ihren Ausstoß an Klimagasen bis 2050 um 80 Prozent drücken, um den Treibhauseffekt vertretbar klein zu halten.

Wie also weiter? Man täte den Umweltpolitikern Unrecht, würde man sie nur an dieser Vorgabe messen. Die Investition in langjährige Lobbyarbeit für den Klimaprozess war keineswegs vergebens: Auch wenn der Prozess zäh und unzureichend ist, so hält er das Thema doch zuverlässig am Leben. Und es grenzt an ein Wunder, dass sich so viele Staaten mit einem so komplexen und bislang abstrakten Problem befassen. Viele Entwicklungsländer bleiben in dem Prozess nur deshalb bei der Stange, weil sie auf Techniktransfer und finanzielle Hilfen setzen.

Und doch werden die Umweltverbände nach der Konferenz von Den Haag erneut darüber debattieren müssen, ob sich das große Engagement in den internationalen Prozessen überhaupt noch lohnt. Vermutlich wird es besser sein, sich mehr auf nationale und europäische Prozesse zu konzentrieren: Die EU-Staaten sollten nun unter Druck gesetzt werden, ihre stolz vor sich her getragene weit reichende Verhandlungsposition freiwillig umzusetzen – und eben etwas mehr als Japan, Kanada, Australien, Norwegen und die USA zu tun. Nur so lässt sich der klimapolitische Druck auf diese Bremser aufrechterhalten.

Doch das sollte nicht die einzige Lektion aus Den Haag sein. Die Debatte um den Ölpreisschock in den vergangenen Monaten offenbart einen Aspekt der Energiedebatte, der bislang im Klimaprozess kaum Beachtung fand. Die Wut der Bürger über hohe Ölkosten und über eine Preiswillkür der Opec ist um ein Vielfaches größer als die Sorge um ein erwärmtes Klima. Auch klimapolitische Instrumente wie die Ökosteuer kamen dabei unter Beschuss. Doch die Umweltschützer machen einen Fehler, wenn sie diese Debatte allein als Abwehrgefecht führen. Tatsächlich bietet sie auch Ansatzpunkte für eine Politik, die dem Klima dient.

Die Ölreserven werden zwar durch technische Innovationen vermutlich noch eine Weile ausreichen – länger sogar, als es dem Klima gut tut. Doch verschiebt sich mehr und mehr die Produktion. Derzeit fördern etwa die USA, Kanada und Europa ein Viertel des Rohöls, obwohl sie bloß ein Zwanzigstel der Reserven halten. Mit der Zeit wird deshalb die Abhängigkeit von den größten Förderländern im Nahen Osten zunehmen. Saudi-Arabien, Irak, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait halten zusammen die Hälfte der weltweiten Ölreserven, fördern derzeit aber nur ein Fünftel der heutigen Ölproduktion. In den kommenden Jahrzehnten wird ihr Anteil auf die Hälfte anwachsen. Nimmt man das Gebiet der früheren Sowjetunion und den Nahen Osten zusammen, finden sich dort jeweils zwei Drittel der Weltöl- und Weltgasreserven – in einem politisch alles andere als stabilen Raum. Auch aufstrebende Mächte wie China werden ein strategisches Interesse an dieser Region gewinnen, wenn ihr Energiehunger weiter so wächst wie bisher.

In dieser Konstellation ist die Suche nach alternativen Energien und nach eine Senkung des Energieverbrauchs auch ein Gebot sicherheitspolitischer Vernunft. Nicht die Anstrengungen der Umweltpolitiker bescherten uns den bislang größten Schub fürs Energiesparen, sondern der Konflikt im Nahen Osten. Die Ölkrisen in den Siebzigern beschleunigten die Suche nach alternativen Energiequellen – und lösten den Boom der Atomkraft aus.

Die Umweltschützer machen einen Fehler, wenn sie die Debatte ums Klima nur als Abwehrgefecht führen

Heute gibt es dagegen die umweltfreundlichen Alternativen: Sonne, Wind und Energieträger wie die Brennstoffzelle. Sie könnten vom unsicheren Ölmarkt profitieren. Das setzte allerdings voraus, dass die Umweltschützer die energiepolitische Unabhängigkeit als Argument akzeptierten und offensiv verträten.

Aber auch mit wirtschaftspolitischen Argumenten taten sich die Umweltverbände zunächst schwer. Inzwischen allerdings schießen viele Umweltpolitiker in ihrer Wirtschaftsrhetorik sogar über das Ziel hinaus: Das ständige Predigen von Umweltschutzmaßnahmen, die gleichzeitig Geld bringen, hat Umweltschutz als Selbstzweck diskreditiert. Selbst die Grünen trauen sich kaum noch, Umweltschutz zu fordern, der nicht irgendwie auch dem Standort Deutschland, der Rente oder sonstwem etwas einbringt.

Und als Letztes steht inzwischen fest: Die Erde wird sich weiter erwärmen – stärker als erhofft. Bereits jetzt sterben weltweit die Korallenriffe. Dies ist die erste direkte Folge des Treibhauseffektes, wenn man neuesten Forschungsergebnissen glauben darf. Für Europa erwarten Klimaforscher nach neuesten Berechnungen eine Erwärmung von 0,1 bis 0,4 Grad pro Jahrzehnt, wenn nichts Einschneidendes unternommen wird. Ab 2020 werden harte Winter selten werden, mehr als die Hälfte der Alpengletscher könnten in diesem Jahrhundert verschwinden. Südeuropa wird von extremen Dürren heimgesucht werden – das Mittelmeer als Urlaubsort im Sommer wegen unerträglicher Hitze vermutlich indiskutabel. Es wird vermutlich mehr Fluten, mehr Lawinen und mehr Erdrutsche geben. Wir werden uns auf einen Klimawandel einstellen müssen. Das ist die eigentliche Lektion aus Den Haag.

MATTHIAS URBACH