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Von Leidenschaft und Aufklärung

Jan Philipp Reemtsma stellte gestern die neue Konzeption der Wehrmachtsausstellung vor. Wechsel zu thematischen Schwerpunkten

HAMBURG taz ■ „Das einzige, was man mit Fehlern machen kann, ist, sie zuzugeben und nicht zu wiederholen“ – mit dieser nahe liegenden, aber keineswegs selbstverständlichen Einsicht leitete Jan Philipp Reemtsma, Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, seine Schlussfolgerungen zu dem Gutachten der Historikerkommission von letzter Woche zur zurückgezogenen Wehrmachtsausstellung ein (siehe taz 16. 11). Reemtsma akzeptierte die wesentlichen Kritikpunkte und leitete aus ihnen die Verpflichtung des Instituts ab, die Ausstellung neu zu konzipieren. Die Umrisse dieser neuen Konzeption stellte Reemtsma gestern vor.

Der Kern der Neugestaltung betrifft den Wechsel von ausgewählten Schauplätzen der Wehrmachtsverbrechen (Weißrussland, Ukraine, Jugoslawien) zu thematischen Schwerpunkten (Völkermord, Deportation von Zivilisten, Repression/Geiselnahme, Partisanenkrieg, Kriegsgefangene, Hungerpolitik). Diese Ausstellungssegmente werden einen Zentralraum umgeben, in dessen Mitte das Kriegs- und Völkerrecht und damit der Verbrechensbegriff der Aussstellung abgehandelt wird. An der Stirnseite dieses Raumes wird eine eigene Abteilung über das Foto als historische Quelle informieren, also auch über die Probleme, mit denen sich die ursprünglichen Ausstellungsmacher um Hannes Heer konfrontiert sahen. Zwei weitere Räume über Nachkriegsdebatten zu den Verbrechen der Wehrmacht, die Wehrmachtsausstellung selbst und über Handlungsspielräume, die sich den Akteuren alternativ anboten bzw. verschlossen, schließen sich an. Innerhalb der einzelnen Abteilungen der Ausstellung soll das Verhältnis „von Intentionalität und situativer Dynamik“ dargestellt werden. Damit meint Reemtsma eine Vorgehensweise,die die Arbeitsteilung zwischen der Wehrmacht und den Vernichtungskommandos der SS unter Himmler begründete. Die aber andererseits auch die Widersprüche der Situation „am Tatort“ in einer tieferen Dimension erschließt. Das betrifft auch die Wechselwirkung zwischen NKWD-Verbrechen, Pogromen der Bevölkerung an Juden und den Mordaktionen der Deutschen in der (heutigen) westlichen Ukraine.

Was die auszustellenden Fotos betrifft, so wird sich deren Zahl durch die Erweiterung des Themenkreises vergrößern. Es wird keine Fotos ohne Einordnung mehr geben, Sequenzen örtlich und zeitlich nicht zusammengehörender Fotos werden unterbleiben. Vom neuen Team gab Ulrike Jureti eine gelungene Kostprobe des Umgangs mit Fotomaterialien am Beispiel des Massaker an Juden 1941 im ukrainischen Babi Jar. Dabei bestehe die Gefahr, dass an die Stelle der leidenschaftlichen Anklage der ersten Ausstellung ein zwar ausgewogenes und allseitig abgesichertes, aber gleichzeitig nüchtern-papierenes Unternehmen tritt. Reemtsma verneinte dies entschieden. Es müsse nur Sorge getragen werden, dass die Leidenschaft der Ausstellungsmacher wie des Publikums sich auf der Basis unumstößlicher Fakten entwickle und den Gegnern der Aufklärung keine offene Flanke geboten werde. Die neue Ausstellung wird irgendwann 2001 eröffnet. CHRISTIAN SEMLER

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