: Im Namen der Liebe zum Tier
Die Show der Zärtlichkeit in der Harburger Hundehalle: Alle Kampfhunde lieben ihre Pfleger. Aber das Vertrauen, das sie hier entwickeln, wird den meisten nichts nützen ■ Von Sandra Wilsdorf
Nummer 114 soll „sehr freundlich zu Pflegern“ sein und „lässt sich streicheln“. Das sagt der Zettel am Käfig, der auch empfiehlt: „muss zum Wesenstest“. Jetzt allerdings bellt Nummer 114, regt sich über fremden Besuch auf, wird seine Gründe haben, wirkt dabei aber durchaus widerstehlich. Ein paar Zwinger weiter wohnt Panja, sie soll an der Saarlandstraße ausgesetzt worden sein und trägt das Etikett „zappelig, hysterisch“. In einer langen Reihe von Käfigen warten zur Zeit 92 Hunde auf die Entscheidung, wie, wo und ob es mit ihrem Leben weitergeht. Sie gehören zu denen, über deren Leben jetzt die Kampfhundeverordnung entscheidet: Pitbulls, Staffordshire, Bullterrier und ähnliche Rassen. Oder eine Mischung daraus.
Alle, die hier sind, wurden gefunden, abgegeben oder einkassiert. Hier, am Harburger Hafen, stört sich niemand an ihnen, weil niemand da ist. Am Ende einer langen Sackgasse pfeift der Wind, die Verladegeräusche vom Kai nebenan sind lauter als das Bellen der Hunde. Von draußen jedenfalls. Drinnen ist Reden unmöglich, viele der Tiere regen sich auf über den unbekannten Besuch, springen an ihren Gittern hoch, rasen durch die acht Quadratmeter großen Zwinger. Andere gucken nur, einer zittert.
Die Gänge zwischen den langen Käfigreihen werden jeweils durch verschließbare Tore begrenzt. Die Rück- und Seitenwände der Käfige sind dunkelbraun, nur nach vorne gibt es etwas zu sehen. Trink- und Fressnapf sind von außen zu füllen. „Aber das machen wir nicht, es gibt nicht einen unter den Hunden, zu dem wir nicht reingehen“, sagt Klaus Meyer, dessen privater Tierpflegedienst die Hunde betreut.
Das müsse auch so sein: „Wenn man das nicht macht, bekommt man nach spätestens zwei Wochen Probleme mit dem Tier.“ Und es gebe auch gar keinen Grund, das nicht zu tun. Tatsächlich wedeln die Hunde, wenn er vorbeigeht. Er streichelt hier, fasst da durchs Gitter. Die Show der Zärtlichkeit. Alle freuen sich stürmisch, wenn er die Tür aufschließt, springen an ihm hoch, le-cken ihn ab.
Und auch die anderen PflegerInnen nehmen die Tiere offenbar als FreundInnen wahr. So wie die Pflegerin, die neben einem Käfig hockt und von einem Tier umgeküsst wird, das eine Kollegin gerade an der Leine vorbeiführt.
Die riesige Halle mit 225 Zwingern und Licht aus Fenstern, Oberlichtern und Neonröhren ist schon die nachgebesserte Version jener Halle, die so eilig wie die Hundeverordnung fertig werden musste, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Es stinkt, aber wenigstens liegen die Hunde auf einer Fußbodenheizung und der Boden ist so angeschrägt, dass ihr Urin zur Mitte in die Sammelrinnen abfließen kann. In manchen Käfigen sind trotzdem Pfützen. Die Hunde verbringen ihre Tage auf glatten Fliesen, ein Holzplateau soll wohl das Körbchen sein. „Wir versuchen, es den Tieren hier so angenehm wie möglich zu machen“, sagt Meyer.
Dazu gehört auch ein bisschen Auslauf. Zwei Pflegerinnen toben mit zwei Pitbullrüden in dem etwa 500 Quadratmeter großen Raum. Obwohl alle sich für „völlig ungefährlich“ verbürgen, beobachten die JournalistInnen das lieber durch einen Zaun. Die Hunde wedeln, rennen, springen aneinander, den PflegerInnen, am Sprunggerät hoch. Der Sand ersetzt nicht das Draußen und kein Revier oder, wie Wolfgang Poggendorf, Geschäftsführer des Hamburger Tierschutzvereins, sagt: „Das ist nicht Honululu.“
Und es ist kaum leichter zu erreichen: Weil nur wenige der Tiere zu zweit oder gar zu dritt spielen, müssen die meisten allein in den Auslauf. Wer dran ist, darf eine halbe Stunde. Macht 15 bis 25 Hunde pro Tag. So kommt also jeder maximal alle vier Tage aus dem Zwinger.
Aber zwischendurch gibt es noch andere potentielle Abwechslung. Ein Besuch beim Tierazt zum Beispiel. Der Arzt verbindet gerade den Fuß eines Tieres. Das lässt sich von der Pflegerin kraulen und sieht auch die Besucherin nur freundlich an. Die Hunde wirken nicht wie Bestien, obgleich sie auch nicht gerade Herzen erweichen. Viele von ihnen, sagt Klaus Meyer, haben es hier besser als vorher. Eine Hündin haben sie mit einer Leine an dem Heckscheibenwischer eines Autos angekettet gefunden, ein Rüde hatte sich schon zweimal um einen Baum gewickelt. Meyer erzählt von geschlagenen Hunden, Tieren voller Ekzemen und von Rücken, auf denen man die Rippen zählen konnte. „Die sind zum Teil so verängstigt, dass sie sich zwei Wochen lang gar nicht streicheln lassen.“ Aber irgendwann hat er sie doch alle.
Und was nützt es ihnen, Menschen wieder vertrauen zu können? Wenn sie zu den Tieren gehört, die die Hundeverordnung in Kategorie II einsortiert, haben sie eine Chance. Sollten sie den Wesenstest bestehen, können sie sich Hoffnung machen, irgendwann vermittelt zu werden. Und auch wieder nicht. Denn schon vor Inkrafttreten der Verordnung wurden Kampfhunde nur sehr selten vermittelt. Jetzt wird das nicht leichter.
Gehört der Hund zur Kategorie I, weil seine Rasse als gefährlich gilt, so wie dem Hund beim Tierarzt und den Rüden im Auslauf: Dann wird er ziemlich sicher keinen Besitzer finden, der seinerseits den „Wesenstest“ der Behörde besteht. So ist der politische Wille, und deshalb gibt es für diese Hunde kein Leben nach der Halle. Und weil 10 Jahre Zwinger auch als Tierquälerei gelten, wartet auf etliche die Spritze. „Damit habe ich schon meine Probleme“, sagt Meyer. Auch Poggendorf ist sicher, dass die Hundeverordnung noch die Falschen trifft. Die braven BürgerInnen, die ihren Hund zur 1200-Mark-Hundesteuer anmelden, während die, die man treffen will, sich noch nicht gemeldet haben.
Probleme machen allerdings auch die, die sich TierschützerInnen nennen. Sie drohen Klaus Meyer und seiner Familie per Telefon und Handy-Messages. Sie sprühen „Hundemörder“ auf die Halle und veröffentlichen private Daten im Internet. Im Namen der Liebe zum Hund.
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