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Unter Matrosen nach Bilbao

Eine Rundreise auf einem Containerschiff – romantische Seefahrtsträume treffen auf den Matrosenalltag. Die „Elisabeth“ wird per Joystick dirigiert und fährt die meiste Zeit per Autopilot

Drei tätowierte,fein berippte Männer lümmeln in unsrer NachbarkabineNoch nie zuvor habenwir eine Seereiseso hautnah unddirekt erlebt

von ANDREA WEISBROD

Na endlich! Nach längerer Suche haben wir die „MS Elisabeth“ im riesigen Hafen von Rotterdam gefunden. Das Schiff wird die nächsten sieben Tage auf einer Rundreise von Rotterdam über Bilbao und Le Havre unser Zuhause sein. Vom Schiffsdeck tönt eine Stimme: „Are you the new passengers?“ Wir nicken. Der philippinische Frager kommt die Gangway runter, schnappt sich unser Gepäck und bringt uns nach oben in unsere Kabine auf Deck 3 direkt unter der Brücke. In seinem gelben Overall sieht er gar nicht aus wie ein Seemann. Dafür lümmeln sich in unserer Nachbarkabine drei tätowierte, fein berippte Männer um einen Tisch und starren uns wortlos an. Es sind der scheidende und der neue Kapitän und der Chefingenieur des Schiffs – nun ja, wir werden sehen.

Die „MS Elisabeth“ ist ein Containerschiff, und wir sind die einzigen Passagiere an Bord. Anders als auf einem Passagierschiff kümmert sich hier niemand weiter um uns. Wir müssen uns in den Tagesablauf der Mannschaft integrieren, können dafür aber nach Herzenslust auf dem Schiff rumstöbern. Jetzt geht’s erst mal an Deck, um beim Beladen zuzuschauen. Von „harter körperlicher Arbeit und muskelbepackten Seeleuten“ ist nichts zu sehen. Wie in allen größeren Häfen geht das Beladen praktisch vollautomatisch. Die schweren Container werden von kleinen, fahrbaren Transportkränen zu großen Ladekränen gebracht, von diesen an Bord gehievt und dort von Hafenarbeitern befestigt. So entsteht viel Leerlauf für die schmächtigen und teils sehr jungen Matrosen, die die freie Zeit für Ausbesserungs- und Wartungsarbeiten nutzen und uns schüchtern zulächeln.

Gegen Mittag spürt uns der neue Kapitän auf. Er hat sich inzwischen etwas übergezogen, erkundigt sich nach unserem Wohlbefinden und schickt uns zum Mittagessen in die Messe. Hier treffen sich Mannschaft, Passagiere und Kapitän zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Hier lernen wir auch den philippinischen Schiffskoch kennen und gewinnen mittels lobender Bemerkungen über seine Kochkünste schnell seine Sympathie. Er erzählt uns, dass er schon seit acht Monaten pausenlos auf der „Elisabeth“ arbeitet. Zwei weitere werden noch vergehen, bevor er endlich für zwei Monate auf die Philippinen fliegen kann. Hier warten seine Frau und zwei kleine Kinder auf ihn. Wie seine philippinischen Kollegen kommt er nur selten von Bord. Ein Ausflug in die Innenstadt wäre zu teuer. Die Matrosen von heute erinnern eher an ausgebeutete Fabrikarbeiter als an freiheitsliebende Individualisten. Am Nachmittag beobachten wir fasziniert und aus nächster Nähe die Feinarbeit der Kranführer. Sie platzieren bis zu 30.000 Kilo schwere Container punktgenau auf Deck. Einer guckt nicht richtig hin, mit einem unguten Knirschen landet eine Kiste auf der Abdeckung einer anderen und hinterlässt zerknautschtes Metall. Jetzt wird uns klar, warum uns der Kapitän ausdrücklich verboten hatte, während des Ladevorgangs die Decks zu verlassen, um Ladeluken und Bug anzusehen.

Schließlich ist es so weit, ein niederländischer Lotse kommt an Bord, und das Schiff nimmt Kurs in Richtung Nordsee. Die Fahrt geht vorbei am unüberschaubaren Europort von Rotterdam, wo hauptsächlich Rohöl umgeschlagen wird. Das gesamte Gelände wurde dem Meer abgetrotzt, erzählt uns der redselige Lotse. Voll beladene Supertanker fahren ein und aus, an einer Stelle des Flusses befindet sich ein monströs großes verschließbares Tor. Es soll Rotterdam und den niedrig liegenden Hafen vor den Folgen der für die nächsten Jahren erwarteten bedrohlichen Sturmfluten bewahren. Auf der Brücke suchen wir vergebens nach einem Steuerrad, die „Elisabeth“ wird per Joystick dirigiert und fährt die meiste Zeit per Autopilot auf vorgegebenem Kurs. Nach zwei Stunden ist das offene Meer erreicht, der Lotse geht von Bord. Aus der Dunkelheit schießt die „Enterprise“, ein kleines, schnelles Lotsenboot, das längsseits zur „Elisabeth“ aufschließt. An Deck erscheinen zwei Männer, die den Lotsen vor einem Sturz in das kalte, schäumende Wasser bewahren sollen. Beide sind angeseilt und ziehen den freundlichen Holländer, der das Schiff über eine kleine Leiter verlässt, mit einem kräftigen, sicheren Ruck auf ihr dahinfliegendes Boot.

Wir gehen in unsere Kabine und legen uns in das inzwischen stark schwankende Bett. Im Gegensatz zu Passagierschiffen verfügen Containerschiffe, wie wir am nächsten Tag erfahren, nicht über zusätzliche Stabilisatoren, sodass jede Welle in deutlich spürbare Bewegungen umgesetzt wird. Erst gegen Morgen lässt das Geschaukel nach. Das Schiff hat inzwischen den Ärmelkanal erreicht, der Wind kommt von vorn, und das Wasser ist völlig ruhig. Wir werden vom lauten Tuckern des Schiffsmotors geweckt und gehen zum Frühstück in die Messe.

Der Kapitän sitzt bei einer letzten Tasse Kaffee und erzählt uns genüsslich von Katastrophen auf den Weltmeeren. Von Supertankern, die auf einer riesigen Welle zu sitzen kommen, einfach in der Mitte entzweibrechen und auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Meeres verschwinden, und ähnlichen Ungeheuerlichkeiten. Wir verbuchen seine Geschichten unter „Landratten-Schreckprogramm“. Noch nie zuvor haben wir eine Seereise so hautnah erlebt. Von hinten bis vorn wird das Schiff erkundet, wir besuchen den Chefingenieur im Maschinenraum, wo es so laut ist, dass man sich dort nur mit Ohrenschützern aufhalten kann. Auch hier sieht alles ganz anders aus als auf Camerons „Titanic“. Niemand schaufelt schwitzend Kohlen in Öfen, alles ist sauber, der dieselbetriebene, gigantische Motor überwachungsfrei.

Den Rest des Tages verbringen wir mit Büchern in Liegestühlen auf einem kleinen Deck unterhalb der Brücke. Nur durch eine schmale Reling vom Meer getrennt, rauscht unter uns das grünlich glitzernde Wasser des Ärmelkanals. Am späten Abend erreichen wir die Biskaya. Das Schiff beginnt, in der von Westen kommenden Dünung zu rollen. Und uns wird schlecht.

Vierundzwanzig Stunden später ist die Welt wieder in Ordnung: Gegen Morgen ist der nordspanische Hafen erreicht, die „Elisabeth“ liegt ruhig am Kai vertäut. Vor uns schimmern die Pyrenäen in der Morgensonne. Während wir uns auf einen ausgiebigen Landgang vorbereiten, haben die Matrosen schon wieder mit dem obligaten Streichen des Schiffsrumpfs begonnen. Abends läuft das Schiff noch vor Sonnenuntergang aus. Die Berge versinken langsam im Dunst, vor der Brücke erstreckt sich der tiefblaue Atlantik. Fast könnte man meinen, wir führen nur mit der Kraft des Windes. Im Westen geht die Sonne unter. Das schöne Wetter wird uns bis zurück nach Rotterdam erhalten bleiben.

Information:„Frachtschiff-Touristik-International, Marschall 2, 24376 Hasselberg, Tel. (0 46 42) 66 86, Fax (0 46 42) 68 20Reisen können auf allen Seerouten der Welt gebucht werden. Reisedauer:eine Woche bis vier Monate.Die beschriebene Reise dauerte 7 Tage und kostete 1.015 Mark pro Person.

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