: Der Rinderwahn-GAU
Die Front der Heuchler und Gesundbeter ist widerlegt: BSE ist auch in Deutschland heimisch
von REINER METZGER
Die Kritiker haben Recht behalten: Der Rinderwahn macht an deutschen Grenzen nicht halt. Mit den gestern bekannt gewordenen BSE-Fällen an zwei urdeutschen, 1995 bzw. 1996 geborenen Rindern ist der Vertrauens-GAU für die deutschen Rindfleischproduzenten da. Denn bislang versuchten Bauernverband wie verarbeitende Industrie und Politiker aller Parteien, mit scheinheiligen Statements die Verbraucher von der Sicherheit des deutschen Beefs zu überzeugen.
„Deutsches Rindfleisch ist sicher“, meinte 1996 Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert (CDU). „Ich bin der felsenfesten Überzugung, dass deutsches Rindfleisch sicher ist“, so sein Nachfolger Karl-Heinz Funke (SPD) am 20. November. Und noch am Mittwoch gab Funke in Bild zum Besten: „Es gab bisher keinen einzigen originären BSE-Fall in unserem Land. Die Verbraucher können nach wie vor, ohne Angst um ihre Gesundheit haben zu müssen, deutsches Rindfleisch essen.“
Aber alle Experten, die sich mit der Erforschung von BSE, der Bovinen spongiformen Encephalopathie, näher befassten, wussten vor allem, dass sie nichts wussten – weder Übertragungswege von Tier zu Tier noch vom Tier auf den Menschen sind bekannt. Ein Rätsel ist auch noch, wie lange die Krankheit im Körper schlummert, bis sie ausbricht, und ab welchem Stadium ein Infektionsrisiko besteht.
Abgesehen von diesen Unwägbarkeiten war für jeden Praktiker klar, dass Deutschland nicht BSE-frei bleiben würde. Britisches Tiermehl aus den verseuchten Jahren wurde auch nach Deutschland importiert, ebenso BSE-infizierte Rinder. Und laut Bundesanstalt für Fleischforschung wurde auch in Deutschland erst ab 1996 Tiermehl flächendeckend ausreichend heiß unter Dampfdruck abgekocht, um ein Risiko nach bisherigen Erkenntnissen klein zu halten. Vorher war das nicht gewährleistet.
Schon lange klagten vor allem die mit einem Rinder-Export-Bann belegten Schweizer über die Scheinheiligkeit der Nachbarn: Die Deutschen würden kaum testen – vor allem nicht alle auffällig kranken und verendeten Kühe, wie das in der Schweiz schon sehr bald nach den ersten BSE-Fällen der Fall war. „Wir würden auch nichts finden, wenn wir es so gemacht hätten“, sagte Peter Dollinger vom Schweizer Veterinäramt schon 1997 der taz.
Nun hat die Rindfleischlobby eine doppelte Niederlage zu verkraften: Sie steht als erwiesener Abwiegler dar. Und der Verbraucher wird künftig Beef oder vielleicht sogar Fleisch pauschal verdammen. Denn all die Rinder, die von den lahmen BSE-Fängern in Deutschland übersehen wurden, sind längst gegessen.
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