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Mehr Rücksicht auf Ohnmächtige

Alles noch knackig, alles noch so samtig wie früher: Im ausverkauften Velodrom fasste sich Morten Harket von der finnischen Popband a-ha bei Weihnachtstexten ans Herz, und das Mädchenpublikum schmolz mitsingend dahin

Schon lange vorher spekulierten viele, ob Morten Harket noch so funktionieren wird wie früher. Fett ist er nicht geworden, das beweisen die neuen Fotos, aber der alte Schmelz ist auch ab, befürchteten vor allem die weiblichen Fans, die immer etwas glasig gucken und Geschichten aus den Achtzigern erzählen, wenn die neuen Hits von a-ha im Radio kommen.

Kaum betritt Morten Harket die Bühne, schon sind alle Zweifel zerstreut. Aus der Entfernung, zu der das ausverkaufte Velodrom mit fast zehntausend Besuchern zwingt, ist der inzwischen 41-Jährige ganz der Alte: mit Lederhose und weit aufgeknöpftem schwarzem Hemd, das später dann ganz offen um die Hüften wedelt, die Haarsträhnen tief im Gesicht – alles noch knackig, alles noch so samtig wie früher. Die Halle stöhnt auf, alles räkelt sich hin zu ihm. Es sind vor allem ältere Leute gekommen, die sich sehr gut daran erinnern, welche Hysterie a-ha in den Achtzigern auslösten, Leute, die man heute nach sechs im Supermarkt trifft. Es wird kaum geraucht oder Bier getrunken, man hält höflich Abstand, und als die erste Ohnmächtige rausgetragen wird, bittet Harket um mehr Rücksicht.

A-ha wissen ganz genau, was ihr Publikum braucht. Sie spielen ihren schönen neuen Pop, allen voran „Summer moved on“, aber auch so ziemlich alles Alte, was einem zu a-ha so einfällt. Klar, dass dies die Höhepunkte des Abends werden.

Mitte der Achtziger waren a-ha die Band, die keiner hassen konnte. Sämtliche Mädchen gaben sie in den Poesiealben als Lieblingsband an, egal ob sie sonst eher richtigen Rock hörten oder gar keine Musik. Es gab Hartgesottene, die eigentlich Bruce Springsteen mochten, Coole, die sogar Platten von New Order hatten – selbst die Jungs, die Mädchenmusik normalerweise doof fanden, konnten nicht anders. Dazu war der Pop von a-ha einfach zu perfekt. Vor allem aber waren es die Braven, die sich in die androgyne Weichheit Morten Harkets verliebten. Es waren Mädchen, die nichts von Musik verstanden, nicht richtig wussten, wie man Fan wird, es waren junge Christinnen, die mit Rock nichts am Hut hatten, weil Teufelszeug. Bei Vanilletee und Duftlämpchen saßen sie auf den Billigsofas ihrer Jugendzimmer von Quelle und träumten nicht von Amerika oder Italien, sondern von Norwegen, der Heimat von a-ha, wo es vielleicht so ist wie bei Astrid Lindgren oder Ikea und wo man auf einem Pony in der puren Natur der Wälder und Fjorde vielleicht auch noch Morten Harket begegnen kann.

Nicht ausgeschlossen, dass er einen mitgenommen hätte in seine bittersüße Welt der Melancholie und Geborgenheit. Als 1985 das tolle Video von a-ha zu ihrem größten Hit, „Take on me“, nahe legte, dass es ganz leicht geht, die Welt zu verlassen, indem man einfach in einen Comic einsteigt, war es um die Herzen aller geschehen, die noch heute fest darauf bauen, die Liebe zu einem Star sei intensiver als die mit Timo von gegenüber. Das alles hatte in etwa einen Rebellionsfaktor wie heute die Backstreet Boys, nur dass a-ha natürlich ehrlich und echt waren.

Es ist schon manchmal starker Tobak, wie sich Morton Harket ans Herz fasst und mit seiner divenhaften Stimme dazu schmachtet: „This Christmas snow that falls gives silence to us all“, während die Bühne in Gold leuchtet. Sich ganz zu entziehen, dazu ist er aber wieder zu unwiderstehlich klebrig, dieser orchestrale Sound der neuen Platte vom Frühjahr. Und bei den alten Hits wie „The Sun Always Shines On TV“ muss man einfach umkippen. Als dann auch noch eine wunderschön leise, bescheidene und nicht verkleisterte Version ihres schönsten Hits, „Hunting High And Low“, kommt, beschleicht einen dann vollends die ersehnte Gänsehaut. Ein Mädchenchor aus Hunderten Stimmen singt mit, von der ersten bis zur letzten Strophe.

SUSANNE MESSMER

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