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Die Gesichter des Krieges

Das Haus der Kulturen der Welt erinnert mit der Ausstellung „Die Wunden des Schweigens“ an den Völkermord in Ruanda. 60 Porträts von Opfern und Tätern

Der erste Mensch, den Yolande Mukagasana, die 1994 im Völkermord von Ruanda ihren Mann, ihre drei Kinder und fast alle Verwandten verloren hat, im Gefängnis interviewte, war ein 79-jähriger Landwirt. „Ich fragte ihn, wie viele Menschen er umgebracht habe. Er sagte: Hundert. Ich sagte, du lügst. Du bist alt, wie willst du allein hundert Menschen umgebracht haben?“

Er erklärte es ihr. Es waren hundert Gefangene, sie waren gefesselt. Man drückte ihm einen genagelten Prügel in die Hand, und er erschlug sie, alle. Zwei Schläge pro Kopf. „Man hat mir eine Arbeit gegeben, ich musste sie machen.“

Man kann einen Völkermord nicht verstehen, sagt Ulrike von Pilar, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen, die das Projekt von Anfang an unterstützt hat. Doch die Krankenschwester Yolande Mukagasana versucht, das Unverständliche zu verstehen und anderen verständlich zu machen. Zusammen mit dem Fotografen Alain Kazinierakis will sie Menschen, die als namenlose Masse mordeten oder verfolgt wurden, „ihr Gesicht zurückgeben“. Kazinierakis sagt, er habe seine Bilder „durch Yolande gemacht“.

Sechzig dieser Porträts hängen nun im Haus der Kulturen der Welt. Manche Gesichter sind verschlossen und seltsam abwesend, manche vor Wut oder unterdrücktem Schmerz verzerrt, manche diskutierend, erklärend. Wenige lächeln. Texttafeln geben den Abgebildeten einen Vornamen und ein Alter, geben und teilen sie in zwei Gruppen: die „Überlebenden“ oder die „im Gefängnis von . . .“. Dazu kurze Interviews. In Ruandas Gefängnissen traf Mukagasana Menschen, die ihre Freunde, ihre Nachbarn, ihre Eltern, ihre Kinder umgebracht haben. Kaum einer der Täter rechtfertigt heute noch das, was er getan hat; viele verstehen gar nicht, wie es so weit kommen konnte. Aber jeder von ihnen hat seine persönliche Geschichte der Angst, des Verrats, der Heuchelei, der Feigheit.

Eines der Bilder zeigt ein teilnahmsloses Kindergesicht. Nur ein irritierender dunkler Punkt auf der Stirn sorgt dafür, dass es nicht untergeht in den vielen anderen Menschenbildern: eine Fliege, die im perfekten Lichtspiel des Schwarzweißbilds schillert. „Wenn man von Überlebenden des Völkermords spricht, denkt man an Macheten, die Arme und Beine abschlagen – aber es gibt noch schlimmere Wunden“, sagt Mukagasana. Als sie das porträtierte Mädchen besuchte, sagte dieses, es sei zwölf Jahre alt. Später erfuhr Yolande, dass Françoise zwölf Jahre alt war, als sie unter einem Haufen von Leichen gefunden wurde. Heute ist sie achtzehn, aber ihr Leben ist 1994 stehen geblieben.

„Nicht als Richter, sondern als Menschen“ wollten sie ihren Gesprächspartnern begegnen, wiederholt Mukagasana oft. Sie erzählt kaum etwas von sich selbst, aber in ihren Interviewtexten ist sie sehr präsent. Oft hängt sie einen persönlichen Kommentar, eine oder zwei kursiv gesetzte Zeilen an: Mathieu weint lange, den Kopf in den Händen. Ich auch. MICHAELA HEISSENBERGER

„Die Wunden des Schweigens“ ist noch bis zum 17. Dezember im Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Täglich außer montags von 10 bis 20 Uhr

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