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New day rising

Wie sich die Vielfalt der Stimmen und Sounds aus dem amerikanischen Alltag auf Zeichenpapier macht: Eine Ausstellung aus dem Archiv von Raymond Pettibons Heften bei Contemporary Fine Arts

von BRIGITTE WERNEBURG

Seine fünfzehn Minuten Ruhm dauern jetzt zwar schon ein gutes Jahrzehnt, was wiederum für eine Kanonisierung keine große Zeitspanne ist – und trotzdem mehren sich die Zeichen, dass sie einsetzt. Denn schon entstehen akademisch-philologische Untersuchungen und bibliografische Dokumentationen zu seinen Cartoons, die ihren Ursprung in der Punkszene im Los Angeles der 70er- und 80er-Jahre haben.

„Raymond Pettibon: A Reader“ heißt daher paradoxerweise der Katalog, den das Philadephia Museum of Art anlässlich seiner Retrospektive 1998 herausbrachte und der eine Anthologie all der Autoren und Texte ist, von Blaise Pascal über Marcel Proust bis zu Mickey Spillane und Charles Manson, die als Quellenmaterial für Pettibons Comicskizzen mit ihren Cut-up-Texteinsprengseln nachgewiesen werden können.

„Raymond Pettibon: Aus dem Archiv der Hefte“ hat der Hamburger Kurator, Kunstkritiker und Autor Roberto Ohrt entsprechend seinen Reprint genannt, der die kleinen fotokopierten Hefte versammelt, die Pettibon herstellte, als er noch für das von seinem Bruder Greg Ginn mitbegründete SST-Label Plattencover und Flyer zeichnete.

Keiner aus der Punkszene und dem SST-Umfeld schätzte Pettibons Coverzeichnungen und Flyer besonders, wie er Peter Margasak anlässlich seiner 1998er Retrospektive erzählte. Seine Bilder, für die er nie einen Pfennig bekam, wurden zweckentfremdet, verschlampt und weggeworfen. Irgendwie nicht weiter verwunderlich, dass er seinerseits versuchte, seine Zeichnungen und Comicsequenzen zu retten, indem er sie fotokopierte und zu kleinen Heften zusammenstellte, dass er sie aber andererseits für einen Dollar fünfundzwanzig so gut wie nicht loswurde.

Mehr als hundert Stück brachte er von den dann entstehenden rund hundert Titeln nie an den Mann, produzierte sie aber bis 1992 in einer Auflage von je 500 Stück.

In Roberto Ohrts Catalogue Raisonné sind nun 32 komplette Hefte in ihrer Originalgröße abgedruckt, davon zwei Hefte überhaupt zum ersten Mal. Dazu kommt ein illustriertes chronologisches Register sämtlicher Künstlerbücher von Pettibon, die sich auf genau 111 Titel belaufen.

Obwohl seine Ästhetik die Cover von Sonic Youth, Minuteman, Black Flag und anderen SST-Veröffentlichungen jederzeit wiedererkennbar machte, ist Pettibons Verhältnis zu Punk und Rock ein komplexes und kompliziertes – zu seinem Bruder etwa hat er seit 1985 keinen Kontakt mehr. Von seinen Zeichnungen schließt man freilich auf die Hippies als die Gegner, die es lächerlich zu machen gilt. Da ist der 1957 geborene Künstler schon der Punk der frühen 70er, der die Flower-Power-Antipoden noch in echt vor sich hat.

Neben den Hippies gibt es aber eine ganze Reihe anderer Figuren, die regelmäßig seine Cartoons bevölkern; es gibt stereotype Signale, Elemente, die dem Medium Comic zuarbeiten, in dem seine Zeichnungen aber nicht aufgehen, wie Helden, Parodie, Serialität; es gibt Slang und ein Sprachvermögen, das der Kunstkritiker Peter Schjedahl als „meisterlich“ bezeichnet.

Roberto Ohrt, der Herausgeber von „Raymond Pettibon: Aus dem Archiv der Hefte“, geht in seiner Einführung den visuellen Quellen nach, im Besonderen dem Film noir. Und hier ist unter den vielen Herleitungen von Pettibons Bild/Sprache die von Ohrt eine der überzeugendsten. Er kommt nämlich darauf zu sprechen, welches Wissen uns die Synchronisation vorenthält, und fährt fort: „Zur Vielfalt der Stimmen und Sounds des amerikanischen Alltags gehört bekanntlich eine weitere Selbstverständlichkeit: die Gewohnheit, überall mit der Gelegenheit zum Gespräch zu spielen. Rede und Gegenrede sind leichter unterwegs, Bluffs, eine treffende Bemerkung, [. . .] mit allem wird eine schnelle und gut gelaunte Verständigung gesucht. [. . .] Ohne diese Umgebung kann man sich die Worte in einer Zeichnung von Raymond Pettibon kaum vorstellen, doch sie fallen dort [. . .] wie ein zu kurzer Schritt, eben Auftakt und schon Pause.“

Nicht dieses Vorwort, aber das reiche Bildmaterial macht aus dem Buch einen wahren Ziegelstein, der neulich seine Release-Party in der Galerie Contemporary Fine Arts hatte. Dort ist bis Ende Dezember die Begleitausstellung zu sehen, die – in Vitrinen aufgebaut – zwar nicht alle, aber doch die meisten Originalhefte zeigt, zu denen weiteres Archivmaterial und Originalzeichnungen kommen. Weil nichts verkäuflich ist, die Galerie also wie ein Kunstkabinett agiert, hat Pettibon wenigstens ein „Grabsteinfeld“ zusammengestellt, aus den ausgerissenen, oben abgerundeten Vorblättern von Büchern. Seine Engel nennt Raymond Pettibon diese Vorblätter, weil sie, mit einer Nadel an die Wand gepinnt, so schön bei jedem Luftzug flattern.

bis 28. 12., Contemporary Fine Arts,Sophienstr. 21, Di.–Sa. 11–18 Uhr

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