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: Geschichten für Weihnachtshasser

Prost, Weihnachtsmann!

„Wenn Weihnachten ein Mensch wäre, dann würde ich in einer nebligen Nacht rausgehen und ihm die Gurgel durchschneiden, und dann würde ich mich der Polizei stellen und den Rest meines Lebens würde ich im Gefängnis Videos anschauen und wäre glücklich.“

Das sagt einer der Protagonisten aus dem „Club der Weihnachtshasser“ in Michael Curtins gleichnamigem Roman. Die Weihnachtshasser sind fünf reichlich abgehalfterte Typen, die sich einmal wöchentlich zum Kartenspielen in einem Londoner Pub treffen.

Auf dem Höhepunkt des Thatcherismus sind die Zukunftsperspektiven düster, und der drohende weihnachtliche Konsumrausch vertieft die Depression noch mehr. Entschlossen, an ihrem Weihnachtsfrust nicht zu ersticken, sondern ihn unter die Leute zu bringen, reißt sich der Club Geld unter den Nagel und macht sich zu einer Reise nach Irland auf, die zu einer irrwitzigen Chaosfahrt ausartet.

Zwar wäre die irische Melange aus Frömmigkeit und Aberglauben eigentlich dazu prädestiniert, weihnachtlicher Sentimentalität ein krisensicheres Zuhause zu bieten. Doch steht dem die sprichwörtliche irische Dickschädeligkeit und der ebenso sprichwörtliche Hang zur Feuchtfröhlichkeit entgegen. Mit letzterer Eigenschaft gelingt es den Iren ohne weiteres, so lange auf den Weihnachtsmann zu trinken, bis man tatsächlich an seine Existenz glaubt. Das legen jedenfalls John B. Keanes irische Weihnachtsgeschichten „Whiskey für den Weihnachtsmann“ nahe.

Auch die ziemlich fröhliche Wissenschaft der Weihnachtszeit, die der britische Wissenschaftsjournalist Roger Highfield unter dem Titel „Können Engel fliegen?“ publiziert hat, kommt zu dem Ergebnis, dass sich diverse Weihnachtsbräuche und -mythen weniger frommen Vorstellungen als vielmehr dem kräftigen Zuspruch bestimmter Substanzen verdanken. Zum Beispiel hat wohl der Genuss des Fliegenpilzes manches mit diesen Bräuchen zu tun. Das polternde Lachen des Weihnachtsmanns, so Highfield, „könnte das euphorische Lachen von jemandem sein, der den Pilz genossen hat. An diesem Pilz lassen sich alle Elemente von Weihnachten aufzeigen, die Rentiere, das rotweiße Gewand, die Geschenke und der Kamin.“

Statt der frömmelnden Sentimentalität und still-heiligen Ernsthaftigkeit deutscher Weihnachtstraditionen wird das Fest in den USA eher handfest und ausgelassen gefeiert. Die Anthologie „Weihnachts-Dinner. Weihnachtliche Geschichten aus Nordamerika“ mit Geschichten von Hawthorne über Mark Twain bis zu Truman Capote erzählen von Santa Claus unter Cowboys und Indianern, Goldsuchern und Desperados, zynischen und gutherzigen Cops – und von sehr ausgiebigen Festgelagen.

Um geraubte Weihnachtsgeschenke, zweideutige Bombenstimmung an Heiligabend und Leichen unterm Tannenbaum geht es in den kriminalistischen Weihnachtsstorys „Süßer die Schüsse nie klingen“, und Virginia Doyles Roman „Das giftige Herz“ macht es sich genau dort ungemütlich, wo deutsche Weihnachten sozusagen idealtypisch geworden sind: im verschneiten Nürnberg des 19. Jahrhunderts.

Ein Junge wird in diesem Buch tot aufgefunden, Todesursache ausgerechnet vergifteter Lebkuchen. Nur gut, dass ein französischer Koch und Hobbydetektiv in einer städtischen Zuckerbäckerei sich gerade in die Geheimnisse des Lebkuchenbackens einweihen lässt: Er kann nun aufklären, warum in diesem Fall der Leb- zum Todeskuchen wurde.

Für den Heiligen Abend 1937 findet sich in Thomas Manns Tagebuch folgender interessanter Eintrag: „K. hatte für erfreuliche Geschenke an alle gesorgt. Unter den meinen tritt der silberne Armleuchter hervor. Platten von Verdis Requiem. Souper, sehr spät, mit Gänseleber und Champagner. Nachher in der Halle einige Musik und Unterhaltung. Beständige Beeinträchtigung und Anwiderung durch den salzig schlechten Geschmack, den der unter der Prothese stockende Speichel hervorbringt.“

Thomas Manns übellaunige Bemerkung über solche Tücke des Objekts im falschen Moment findet sich unter vielen anderen, teils komischen, teils erfreulich despektierlichen Beiträgen in der Anthologie „Stille Nacht – Unheilige Weihnachten“, die dem englisch-irischen Club der Weihnachtshasser gewiss gefallen hätte.

KLAUS MODICK

Michael Curtin: „Der Club der Weihnachtshasser“. dtv, 377 Seiten, 28 DMJohn B. Keane: „Whiskey für den Weihnachtsmann“. Aufbau TB, 199 Seiten, 15,90 DMWieland Grommes/Tilmann Kleinau (Hg.): „Weihnachts-Dinner“. dtv, 304 Seiten, 17,50 DMDorothee Sager (Hg.): „Süßer die Schüsse nie klingen“. Heyne TB, 349 Seiten, 14,90 DMVirginia Doyle: „Das giftige Herz“. rororo, 192 Seiten, 14,90 DMAnne Margret Rusam/Günther Opitz (Hg.): „Stille Nacht – Unheilige Weihnachten“. Fischer TB, 219 Seiten, 12 DMRoger Highfield: „Können Engel fliegen?“ rororo, 320 Seiten, 19,90 DM