piwik no script img

Kein Freispiel drin

Das Museum als Playstation: Wie ernst ist Entertainment? Das Centre George Pompidou in Paris versucht mit „Au-delà du spectacle“ die Beziehungen zwischen Popkultur und Kunst noch einmal neu zu ordnen. Doch bei Nike, Nintendo und Co. wird nicht mehr Ware, sondern Öffentlichkeit vermarktet

von HARALD FRICKE

Vom Eingang der Ausstellung ist das Ende der Schlange nicht abzusehen. Dreißig, vierzig Meter stehen die Besucher zur Eröffnung dicht an dicht, dann knicken die Dreierreihen ab und ziehen sich hinter der Glaswand noch bis kurz vor das Dachcafé im sechsten Stock des Centre George Pompidou. Tout Paris hatte letzte Woche mit „Au-delà du spectacle“ das Kunst-Event des Jahres, eine ganze Menge Pariser nahmen dafür eine halbe Stunde Anstehen in Kauf. Und ein paar Pariser kamen sogar ohne zu Warten an der Schlange vorbei. Catherine David zum Beispiel. Die documenta-Chefin von 1997 musste erst noch Hans-Ulrich Obrist vom Musée d’Art Moderne begrüßen, der ihr kurz mit dem Handy zuwinkte, dann ließ sie ein breitgebauter Bodyguard zusammen mit dem Karlsruher ZKM-Direktor Peter Weibel passieren.

Anscheinend sind auch Künstler aus Paris auf der Gästeliste. Ein junger Mann in silberner Jacke jedenfalls gibt schnell Autogramme, bevor er durch einen gesonderten Einlass in der Ausstellung verschwindet. Überhaupt erinnert die aufgeregte Türpolitik mehr ans Studio 54 zu Zeiten von Disco oder irgendeinen anderen exklusiven Club als an eine Eröffnung im Museum. Dabei haben sich die Verhältnisse vollkommen umgekehrt: Während Bernard Blistene, einer der Direktoren des Pompidou, sich die „Spektakel“-Ausstellung extra ins Haus geholt hat, um mit Kunst für die Massen gegen den Ruf als Elite-Einrichtung anzugehen, kommt die Trennung jetzt in Form eines sehr internen Kults um Prominenz und big names zurück. Das aber sind genau die Begleiterscheinungen des Showgeschäfts – ohne Celebrity kein Spektakel. Was für die MTV Music Awards gilt, funktioniert auch im Kunstbetrieb: das Museum als Hall of Fame.

Punk und Prada

Diesen Kurzschluss wollte „Au-delà du Spectacle“ allerdings vermeiden. Bereits im Frühjahr war die Ausstellung mit an die hundert Künstlern für das Walker Art Center in Minneapolis unter dem Titel „Let’s Entertain“ konzipiert worden. Schon damals war man sich darüber klar gewesen, dass der ironische Unterton dieses Slogans gerade in den USA schnell verpuffen könnte. Die Strategien aus Marketing und Unterhaltung sind längst in allen anderen Bereichen aufgesogen worden, der Pop der Cultural Studies gehört zur Ausbildung eines jeden besseren Abteilungsleiters von Nike bis DaimlerChrysler. Marketing und Culture sind, wie John Seabrook vom New Yorker letztes Jahr geschrieben hat, im Corporate America nicht mehr zu trennen. Prada lässt seinen Showroom von Andreas Gursky für die Werbemappe fotografieren, dasselbe Bild wandert als Cibachrome-Abzug ins Museum. Wer mit seiner Kritik Öffentlichkeit erreichen will, kommt darin um: Dan Grahams Spiegelräume stehen mittlerweile als städtische Wahrzeichen in fast jeder Parkanlage zwischen Santa Monica und Kopenhagen. Auch im Pariser Pompidou-Center, wo man sich in seinem gläsernen Kabinett auf schwarzen Lederkissen noch einmal anschauen kann, wie Grahams „Rock my Religion“-Video Punkrock und ekstatische Stammesrituale 1983 zusammendachte. Das ist politische Bildung für die Chill-out-Zone.

Zwei Meter weiter läuft eine Dokumentation zum ersten Konzert von Public Image Limited im US-Fernsehen bei „American Bandstand“: John Lydon singt vor tanzenden Statisten, wie sehr es ihn ärgert, „entertaining“ zu sein. Für Philippe Vergne markiert der Auftritt den Übergang der Minderheiten in den Mainstream. Deshalb wird der dreiminütige Film im Zentrum der von ihm kuratierten Ausstellung unentwegt wiederholt. Als Exponat taucht der Clip trotzdem nicht in den Listen auf, so weit reicht die Brücke zwischen High and Low im Museum dann doch nicht. Stattdessen kann Vergne im Katalog von allen beteiligten Künstlern nur immer wieder fordern, das Spiel mitzuspielen, ohne dabei die Karten aus der Hand zu geben. Als etwa der aus Mexiko stammende Gabriel Orozco absagen wollte, weil er sich nicht als Entertainment-Künstler sieht, wurde er von Vergne damit beruhigt, dass die Parallele witzig gemeint ist und man schließlich nur „über ernsthafte Dinge Witze machen kann“. Nun steht Orozcos ovaler Billardtisch neben dem überdimensionalen Tischfußballspiel von Maurizio Cattelan und muss als Illustration dafür herhalten, dass Künstler von der Peripherie auch etwas Spaß verstehen, wenn der Kontext es so will.

Gleichzeitig soll man die Unbespielbarkeit des Orozco-Objekts als „glokalen“ Widerstand gegen Disney, Nintendo und Co. werten. Tatsächlich bildet diese gängige Polarisierung das durchgehende Motiv der gesamten Ausstellung. Gleich zu Beginn wird ein Zitat aus Walt Disneys Memoiren mit einem Sample aus der „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno/Horkheimer gegengelesen: Hier der alternde Zeichentrick-Unternehmer und seine Liebe zu selbst gebasteltem Eisenbahnkitsch, dort die Rede von der korrupten Kulturindustrie. Dass zwischen diesen Fronten so ziemlich alles fließt, was nicht im Beton der Museumswände festgemauert ist, macht das Kunstspektakel zu einer ziemlich öden Zeichenwüste, die ganz und gar der lustvollen Subversion der Achtzigerjahre entspricht: Welcome to the Pleasure Dome!, sangen Frankie Goes To Hollywood. Und bitte steckt euch Geld ein!, das war die Antwort von Fanny van Dannen, der eine Nummer kleiner in Berlin Kreuzberg Lieder machte.

Eben. Was immer als Affirmation damals an den Start ging, wurde bereits in den Neunzigerjahren wieder auf die dahinter versteckten Produktionsverhältnisse zurückgeschraubt. In Paris ist man gar nicht erst bei der zweiten Stufe der Entwicklung angekommen. Hier wird als drohende Gefahr verkündet, was mittlerweile jeder RTL-Zuschauer weiß: Korporatisierung und Medienindustrie machen auch nicht glücklich. In den USA denkt man bei Sony derweil darüber nach, wie die Leute wieder in die Shoppingmalls zu locken sind, nachdem man ihnen lauter Elektronik-Spielzeug für den Hausgebrauch verkauft hat. Deshalb werden selbst im US-TV ständig Menschen in Big-Brother-Container gesteckt, damit die Bevölkerung vor dem Bildschirm endlich merkt, dass sich die Wirklichkeit nicht aus lauter Containern zusammensetzt – und wieder mehr unter Leute geht. Denn dafür sind die Einkaufszentren am Times Square und anderswo schließlich gebaut worden, wie Emma Duncan in ihrem Katalogbeitrag „The Business of Fun“ feststellt. Wen interessiert dagegen ein von Jeff Koons musealisierter Michael aus Porzellan noch, wenn der reale Jackson sein eigenes mediales Konstrukt kaum mehr ertragen kann?

Teuflische Energie

Der französische Filmemacher und Situationismus-Theoretiker Guy Debord hat diesen Konflikt bereits in den Sechzigerjahren erkannt. Nicht von ungefähr klingt sein Requiem auf die „Gesellschaft des Spektakels“ im Titel der Ausstellung für Paris an. Trotzdem wollte man Debords Analysen aus dem vom Konsum angetriebenen Alltag nicht richtig ernst nehmen. Lediglich ein Video von Mattieu Laurette bezieht sich auf die Erkenntnis, dass die Macht des Kapitalismus als Spektakel, als „fetischistischer Schein reiner Objektivität“ inszeniert wird, an der die Massen nur als Zuschauer teilhaben. Laurette will diese Feststellung allein in der ironischen Brechung akzeptieren: Bei ihm werden Debords Sätze von zufällig auf den Champs-Élysées angesprochenen Passanten abgelesen, weil jedes gefilmte Statement auch nur den Charakter einer Inszenierung besitzt. Damit schafft sich der Künstler lediglich einen kleinen reflexiven Freiraum, der zudem immer schon vom „Energieteufel Kapitalismus“ toleriert wird, was Jean-François Lyotard bereits vor gut 20 Jahren beklagt hatte.

Tatsächlich scheint die Hilflosigkeit, im Kapitalismus nicht mehr recht zwischen good, bad und extrem ugly unterscheiden zu können, für die bildende Kunst eher auf grobe Stilisierungen als auf genau markierte Differenzen hinauszulaufen. Der Japaner Takashi Murakami stellt menschengroße Manga-Models her, die meterweit Sperma oder Muttermilch spritzen, weil damit der Voyeurismus des Westens entlarvt werden soll. Dass der US-Millionär Peter Norton diese Sexmutanten sammelt, passt zwar zum Klischee, klammert aber die Frage nach dem Hintergund der japanischen Leidenschaft für solche comichaften Überzeichnungen aus. Und wenn bei Paul McCarthys Installation „The Bunkhouse“ ein Cartoon-Rindvieh dem Bauernjungen das Glied mechanisch ins Auge bohrt, bleibt die Psychodynamik reiner Special Effect.

Auch in der zweiten Arbeit McCarthys entzieht sich der anvisierte Gegenstand durch Übertreibung: Dort werden Fotografien aus Disneyworld mit Hitler-Aufnahmen aus dem Wachsfigurenkabinett und Porno-Images ergänzt – denn nicht das Bild ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der die Bilder produziert werden. Bei dem in New York lebenden Polen Piotr Uklanski richtet sich der Trotz dann vollends gegen den eigenen Kunstbetrieb, wenn er als Reaktion auf den Modernitätswahn der weißen Zelle die schmuddelig beleuchtete Tanzfläche aus „Saturday Night Fever“ rekonstruiert.

Vor lauter Techno ist dabei die Arbeit von Adrian Piper nebenan kaum zu verstehen. Immerhin hat sich die afroamerikanische Feministin als eine der wenigen eingeladen Künstlerinnen schon 1984 bemüht, den Spaß am Spektakel mit dem Wissen um kulturell geprägte Identitäten zu koppeln. Ihr Video „Funk Lesson“ kommentiert die Begeisterung für HipHop anfang der Achtzigerjahre, als weiße Mittelklasse-Kids plötzlich in der Bronx und Harlem tanzen lernen wollten. Für Piper war es damals zumindest eine Chance zur rassenübergreifenden Kommunikation von Körpern. Was von der Befreiung durch Breakdance übrig blieb, sieht man heute auf MTV bei Britney Spears. Oder nächstes Jahr im Museum.

Bis 8. 1. 2001, Centre George Pompidou, Paris. Der englischsprachige Katalog „Let’s Entertain“ mit Texten von Richard Shusterman, Greil Marcus, Emma Duncan u. a., 320 Seiten, kostet ca. 90 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen