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Börsengang der Bundeswehr

Verteidigungsminister Scharping will die Wehrpflicht retten. Doch trotz seiner Machtworte: Ihre Abschaffung wird weiter diskutiert. Leider mit verqueren Argumenten

Es sollte einen einjährigen Gemeinschaftsdienst für Männer und Frauen geben – in einem Job freier Wahl

Geht es gegen die Wehrpflicht, sind sich FDP, Grüne und PDS einig. Auch Bundespräsident Johannes Rau hat eine „offene Debatte“ um die Zukunft des Militärdienstes angemahnt. Und am Montag plädierte sogar der Wehrbeauftragte Willfried Penner (SPD) dafür, die Wehrpflicht abzuschaffen. Damit gerät sein Parteifreund, Verteidigungsminister Scharping, der am Militärdienst für alle festhält, immer stärker in die Defensive.

Doch unabhängig, wer gerade die Diskurshoheit besitzt: Die Debatte läuft schief. Auf drei Ebenen wird diskutiert – zwei davon taugen nichts.

Diskussionsebene eins: die prekären Staatsfinanzen. Die Berufsarmee würde jährlich sieben Milliarden Mark weniger kosten, wird immer wieder gern eine Studie der Bundeswehr-Universität zitiert. So forderte etwa Jürgen Trittin: Die Wehrpflicht solle „möglichst bald und ohne viel Aufhebens abgeschafft werden“, weil sie nicht mehr bezahlbar sei. Doch das monetäre Argument wird umgekehrt auch gern von den Wehrpflicht-Befürwortern genutzt. In perverser Logik behaupten sie: Ohne Zivis sei der Sozialstaat nicht zu finanzieren. Natürlich hat Diakonie-Präsident Gohde Recht, wenn er warnt, ohne die 138.000 Zivis würde die Lebensqualität vieler Menschen stark eingeschränkt. Das ist aber kein Argument für die Wehrpflicht – sondern eines gegen die heutige Sozialpolitik.

Der Umweg über die Staatsfinanzen führt bei Wehrpflicht-Gegnern zum eigentlichen Kern der Argumentation: Ein Staat hat heute allein nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu funktionieren. Mit bekannter Prägnanz formulierte das der Focus in einer seiner Bildunterschriften: „Bundeswehrsoldaten – Nachteil für Steuerzahler“. Nach dieser Logik gilt das wohl auch für Kindergartenplätze, Sozialhilfe und die Abschaffung der Todesstrafe.

Diese wirtschaftlichen Argumente sind nichts wert. Das Ganze klingt, als sollte nun nach der Telekom und nach der Post auch die Bundeswehr an die Börse gehen. Zwar dürfte sie genügend Kunden haben, wenn nur noch Marktgesetze gelten – warum sollten die Drogenschmuggler und Frauenhändler im Kosovo nicht für bundesdeutsche Militärunterstützung zahlen wollen? –, doch zeigt gerade dieses Beispiel: Die Armee ist kein Unternehmen. Ebenso wenig wie die Bundesrepublik, über deren Grundinstitutionen nicht ausschließlich die Marktlogik entscheiden darf.

Ebenso verquer ist die zweite Ebene der Diskussion: die Popularität eines falsch verstandenen Liberalismus. Die unheilige Allianz von FDP, Grünen und PDS versteht Freiheit offenbar allein als eine Freiheit vor dem Staat. Trittin und Möllemann sind natürlich beide gegen so genannte Zwangsdienste. Was aber war schon die Freiheit eines britischen oder sowjetischen Zwangsrekruten im Zweiten Weltkrieg gegen den Sieg über Deutschland? Was ist mit der Freiheit einer alten Frau, die ins Heim muss, weil kein Zivi mehr ihre Einkäufe tätigt? Freiheit kann nur eine Freiheit im Staat sein, wie Rousseau sie verstand. Sonst haben die Stärksten ein Monopol auf sie. Diese Position konnte der scheidende BDI-Präsident Henkel vertreten, solange er nicht eine Bundesrepublik forderte, die nicht mehr auf Basis des Grundgesetzes steht. Parteien aber steht eine solche Geisteshaltung schlecht an – als Grundlage einer Entscheidung über die Wehrpflicht ist sie gänzlich ungeeignet.

Bleibt allein die dritte Argumentationsebene der Diskussion. Sie ist die einzig stichhaltige: Wozu braucht man überhaupt noch eine Massenarmee? Deutschland ist von Freunden umzingelt, und selbst wenn ein Konflikt an der europäischen Peripherie ausbricht, wird dieser nicht nach Mannstärke, sondern nach technischer Ausstattung entschieden. Rühe hat das schon 1997 – nach immerhin sieben Amtsjahren – erkannt: „Das deutsche Territorium ist militärisch nicht bedroht.“ Die Nato-Staaten sind längst dabei, kleine, extrem hochgerüstete und mobile Truppen aufzubauen. Auch Deutschland wird dies tun. (Natürlich lässt sich diskutieren, ob deutsche Soldaten wieder weltweit marschieren sollen und ob es überhaupt einer Armee bedarf. Nur: Diese Debatte ist eine andere und nicht hier zu führen.) Bevor aber die Wehrgerechtigkeit bei der modernisierten, stark verkleinerten Truppe endgültig flöten geht, ist eine Reform nötig – hin zur Berufsarmee. Denn den Dienst noch weiter auf nur noch symbolische Fristen zu verkürzen, ist keine Lösung.

Man könnte diesem Fazit zustimmen – wäre dahinter nicht das Ansinnen zu erkennen, die wenig attraktive Aufgabe der Landesverteidigung und Krisenintervention an die sozial Schwachen „outzusourcen“, wie es in Wirtschaftsdeutschland heißt. So ist es schon in den USA geschehen. Überspitzt: Schwarze aus der Unterschicht riskieren ihr Leben für die Interessen einer weißen Elite, weil dies der einzige Weg zu einem gewissen sozialen Aufstieg ist. Manchmal scheint es, als fürchte Scharping dies. Nicht wegen der Ekel erregenden Wirkung von Markt- und Herrschaftsgesetzen, sondern weil er eine „negative Selektion“ voraussieht. Damit könnte er die Drogenprobleme in der US-Armee meinen.

So ist die schlichte Befürwortung eines Berufsheers meist gleichzeitig eine sehr bezeichnende Abkehr vom ursprünglich liberalen Ideal. Der damalige Traum: In einer Wehrpflichtigenarmee arbeiten Bürger aus jedem Stand zusammen. Als Staatsbürger in Uniform eben.

Eine Berufsarmee würde den Militärdienst an die sozial Schwachen „outsourcen“

Heute braucht es eine solche Armee nicht mehr – dafür aber eine Neuauflage dieser Idee. Ein einjähriger Gemeinschaftsdienst wäre so etwas. Männer und Frauen zwischen 18 und 28 Jahren könnten sich aussuchen, wann und wo sie diesen leisten: bei der Bundeswehr, im sozialen Bereich, bei Stiftungen, Museen, der Feuerwehr, dem Rettungsdienst oder sonst wo. Diese Gleichstellung von zivilem und militärischem Dienst könnte das Ansehen der Soldaten in der Gesellschaft steigern. Vor allem aber könnte ein solches Jahr helfen, libertären Individualismus durch Verfassungspatriotismus zu ersetzen. Es würde zum Staatsbürger erziehen – egal ob in Uniform oder nicht.

Dem Staat wird es nicht schaden, wenn nur noch eine freiwillige Minderheit zum Bund geht. Auch eine Wehrpflichtigenarmee ist nicht zwangsläufig ein Hort der Demokratie. Mit solchen hat Deutschland immerhin schon zwei Weltkriege begonnen und Völker vernichtet. Diesen Genozid wollten ja nicht allein die Wehrmachtsangehörigen. Nicht die Organisationsform der Armee, sondern die mentale Verfassung des Gemeinwesens ist entscheidend. Und um die wäre es besser bestellt, wenn Menschen die Bedeutung des Begriffs „sozialer Rechtsstaat“ wieder erfahren könnten.

Anders als viele befürchten, würde ein Gemeinschaftsdienst den Arbeitsmarkt im sozialen Bereich nicht zerstören. Das tun die Stellenstreicher, die denken, ein Staat müsse als Unternehmen funktionieren. Sie vergessen, dass Kosten und Nutzen nicht immer finanziell zu definieren sind. KONRAD LISCHKA

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