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Der Bauch des kleinen Mannes

Vor kurzem war deutsches Rindfleisch für ihn noch sicher und Tiermehl ungefährlich. Jetzt musste Landwirtschaftsminister Funke (SPD) zurückrudern

„Wir können keine hundertprozentige Sicherheit garantieren.“

von MATTHIAS URBACH

„Das muss ich erst mal verdauen“, schrieb gestern keine Geringere als die Kanzlergattin selbst. In der Bild-Zeitung trauerte Doris Schröder-Kopf ihrer geliebten Tee- und Leberwurst hinterher und fragte sich, wie viel infiziertes Rindfleisch sie wohl seit ihrer Kindheit verzehrt hat. „Ich war vorsichtig“, sagt Schröder-Köpf. Doch nun sei sie ratlos, „wie Millionen Mütter und Väter auch“, was sie sich und dem Kanzler noch Essen machen könne.

Die Antwort gibt Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke: „Kaufen Sie beim Metzger ihres Vertrauens!“ Nur, welchem Metzger kann man noch vertrauen? Darauf wird die Antwort kompliziert. Funke spricht dann von Erzeugergemeinschaften, die nur noch Silage und Weidegras verfüttern, aber kein Kraftfutter mehr, in dem – absichtlich oder nicht – noch Spuren von infiziertem Tiermehl schlummern könnten. Von Erzeugergemeinschaften, die sich vertraglich an Schlachter und Händler gebunden hätten – und diese BSE ausschließende Wirtschaftsweise garantierten. Die Frage, wie viele der deutschen Bauern den bereits so vorgingen, kann oder will Funke nicht beantworten. Auch wenn er gefragt wird, warum er vor kurzem noch behauptet hat, „deutsches Rindfleisch ist sicher“, weiß Funke eine komplizierte Antwort. Sie kann freilich noch weniger überzeugen. Funke beruft sich dann gerne darauf, dass Deutschland laut Internationalem Seuchenamt bis zum Freitag als BSE-frei galt. Wie wir heute wissen, heißt das gar nichts. Und es gab auch schon vorher Anzeichen. Spätestens die Einstufung Deutschlands durch den EU-Lenkungsausschuss (das höchste Wissenschaftlergremium der Gemeinschaft) als „BSE-Risikostaat“ im vergangenen Sommer hätte das Landwirtschaftsministerium aufrütteln müssen. Stattdessen beschwerte man sich.

Doch nun hilft auch kein Lamentieren mehr. Das weiß auch Funke. Auf Druck von Kanzler Schröder und Gesundheitsministerin Andrea Fischer musste er in einer Woche seine Haltung zum Tiermehl ändern und für ein generelles Verbot plädieren. Und auch das ist wieder komplizierter. Nachdem Bund und Länder sich am Wochenende zunächst auf eine Eilverordnung zum Verbot geeinigt hatten, stellte sich nun heraus, dass das nicht so einfach geht. Auf Intervention des Justizministeriums, das keine ausreichende rechtliche Grundlage für eine Eilverordnung sieht, musste Funke nun doch einen Gesetzentwurf zum Tiermehlverfütterungsverbot vorlegen. Der soll noch diese Woche durch Bundestag und Bundesrat. „Am Samstag kann das Verbot in Kraft treten“, erklärte Funke gestern. Eigentlich sollte es schon am Mittwoch sein. Was für ein „Gehampel“, ärgert sich die grüne Agrarpolitikerin Ulrike Höfken.

Gegen Funke allerdings feuern die Grünen nicht. Auch Andrea Fischer äußert Verständnis für ihren Kabinettskollegen. Nur in einem Punkt widerspricht sie ihm klar. Sie würde Rinder aus artgerechter oder ökologischer Landwirtschaft vorziehen, aber: „Wir können keine hundertprozentige Sicherheit garantieren.“ Doch anders als bei Klimmt halten sich die Grünen zurück. Von einem Rücktritt hätten sie auch nichts. So ein „Bauernopfer“ würde bloß von den eigentlichen Problemen ablenken, heißt es in grünen Kreisen. In der SPD ist die Kritik schon offener. Im Präsidium seiner Partei musste sich Funke gestern scharfe Kritik anhören. Und auch Doris Schröder-Köpfs Gastkommentar in der Bild-Zeitung ist kaum als Rückendeckung für Funke zu werten. Eher als Faustschlag ins Genick. Und sie treibt Funke vor sich (und ihrem Gatten) her: „Das komplette Verbot von Tiermehlverfütterung und eine lückenlose Kennzeichnung des Fleisches können nur ein Anfang sein.“ Die Profilierung zum Wohle des Verbrauchers, des so wichtigen kleinen Mannes, will die SPD nicht den Grünen überlassen. Auch Müntefering erklärte gestern nach dem Präsidium noch einmal, „Gesundheit hat Vorrang“, auch wenn das Geld und Mühen koste. Kritik aus der Union wies Müntefering zurück und verwies auf deren frühere Versäumnisse: „Tiermehl ist nicht rot-grün.“

Funke bleibt zunächst nur, den Anfang zu vollziehen. Mehr Schnelltests kündigte der Minister gestern an. Und eine Förderung des von ihm gepriesenen Vertragsanbaus in Erzeugergemeinschaften. Vor allem aber eine Umstellung des Futters auch von Schweinen und Geflügel, die Funke bis letzte Woche noch verhindern wollte. Denn Tiermehl darf in Deutschland bereits seit 1994 nicht mehr an Rinder verfüttert werden, wohl aber an Schweine oder Geflügel. Zwar ist dort noch kein Zeichen von BSE bekannt. Aber die Bundesregierung vermutet hinter den nun entdeckten BSE-Fällen die Vermischung von Tiermehl etwa für Schweine mit dem Kraftfutter, das die Rinder zu fressen kriegen. Denn das verschiedene Futter wird oft in ein und demselben Behälter angerührt. Dabei kann schon mal etwas in den falschen Futtersack geraten. BSE-verseuchtes Futter ist offenbar bereits in kleinen Dosen infektiös.

Was die Bauern noch in ihren Silos haben, dürfen sie allerdings verfüttern. Sonst würden die Tiere schließlich verhungern, so das Argument. Als Ersatz müssen die Bauern künftig mehr Raps, Erbsen, Lupinen und Bohnen anpflanzen. Für die 15 Millionen deutschen Rinder müssen dadurch auf rund 600.000 Hektar extra Futtermittel angebaut werden. Bis dahin kriegen sie Sojaschrot aus Übersee. Mit ein wenig Pech genmanipuliertes.

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