: Die Wiederkehr des Immergleichen
■ Kleider machen Leute – das zeigt das Focke-Museum am Beispiel der Frauenmode aus drei Jahrhunderten
Pompös, schlicht, pompös, schlicht – schon sind 200 Jahre Modeentwicklung in Europa auf die passende Formel gebracht. Wagten wir den vorausschauenden Blick auf die nächsten 200 Jahre, wäre der zu vermutende Trend mit pompös, schlicht, pompös, schlicht im Großen und Ganzen wohl nicht ganz falsch antizipiert.
Zu den zweifellos seltsamsten Phänomenen unserer zweifelsfrei seltsamen Zeit zählt, dass dieser spannungsarme Gezeitenwechsel im Kleiderschrank so viel Aufmerksamkeit bindet. Als Heroen des Zeitgeists werden inzwischen jene HohepriesterInnen wie Gaultier oder Vivienne Westwood gehandelt, die der Welt kaum mehr zu geben haben als den schicken Hinweis, dass Frau Schiffer in diesem Sommer den pompösen BH ganz schlicht auf den Knien spazieren trägt.
In der heutigen Zeit aber, wo der heimische Altkleidersack zum entscheidenden Fundus verzweifelter ModemacherInnen auf der Suche nach dem letzten Schrei geworden ist, erzeugt dieses Couturier-“Diktat“ bei kaum jemandem noch Versagensängste. Immerhin das war früher, als eine klassen- und ständeverbindliche ästhetische Norm noch was galt, dann doch noch anders.
Im Focke-Museum hat Uta Bernsmeier 50 exquisite Frauenkleider aus den letzten drei Jahrhunderten zusammengetragen. „Im Gewand der Zeit“ zeigt, was die Frau nicht alles mit sich angestellt und hat anstellen lassen, damit sie ihre patriarchal normierte Funktion als appetitliche Schaufensterpuppe ihrer Zeit ausfüllen konnte.
So montierte das Rokoko Drahtwürste, Reifröcke, mörderisch enge Korsetts und plusterige Gesäßpolster fachmännisch am Frauenleib, bis die Silhouette jede Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen verloren hatte. Als schön galt damals das Artifizielle. Und da sich das Schicksal der höfischen Dame sehr weitgehend im Repräsentativen erfüllte, galt es nicht einmal als sekundäres Problem, ob die Robenträgerinnen in diesen von edlen Stoffen umgebenen Gefängnissen allabendlich stolperfrei ins Schlafgemach fanden.
Erst das segensreiche Wirken der AufklärerInnen machte dieser Tortur ein Ende. Freiheitssinn und egalitäres Denken vertrugen sich nur schwer mit Cul, Tournüre und Körperverstümmelungen, weshalb im schon damals modebestimmendenrevolutionären Frankreich die aus England importierte, weiße Chemise zur weiblichen Uniform wurde. Ebenso wie für die Intellektuellen wurde die Antike zum Vorbild der Modemacher. Schlicht, einfach und knapp unterm Busen geschnürt sollte es nun sein, der Frau das Antlitz einer griechischen Statue verleihen und ansonsten demonstrieren, dass Rang und Klasse sich in der Toilette der Trägerin nicht wiederzuspiegeln habe.
Das langweilige 19. Jahrhundert schließlich erging sich wieder im Rokoko-Zitat, ehe die Reformbewegung das vorwegnahm, was knapp 80 Jahre später in den Schaufenstern der Ökoläden neben Kernseife und Müsli zum liegen kam. Schnitt, Stoff und Weltanschauung – alles haargenau so wie zu Joschka Fischers Startbahn-West-Zeiten. Die Modekritik stöhnte über diesen Gesundheitshänger-Schick. Doch davon unberührt trug die reformbewegte Frau am Ende des 19. Jahrhunderts Büstenhalter unterm naturbelassenenSeidenkleid, die aussahen wie falsch herum geschnallte Leinenrucksäcke.
Menschen wie Charles Frederick Worth, Paul Poiret und Mariano Fortuny ist es schließlich zu verdanken, dass einige namhafte Schneider heutzutage als „Modeschöpfer“ verehrt werden. Sie erfanden in Paris und anderswo die Haute Couture, diese Melange metropolitaner Eitelkeiten, Shows, und Accessoires, diese bizarre Welt der schönen Menschen in schönen Roben, die Trends kreiern und mit gewaltigen Werbeetats im wahrsten Sinne des Wortes dafür sorgen, dass ihnen das auch jemand abkauft.
Diesen qualitativen Sprung von der Stände- zur Massenkleidung dokumentiert die Ausstellung im Focke-Museum nur ungenügend. Auch die Mode des 20. Jahrhunderts wird anhand von Kleidern von Westwood, Miyake oder Sibilla Pavenstedt primär unter ästhetischen Gesichtspunkten zur Schau gestellt. Die soziologischen Veränderungen, die der Modesektor durch die Umbrüche und Ausdifferenzierungen bei Produktion, Marketing und Funktion gerade in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, bleiben weitgehend unerwähnt. Aber, wie sagte schon der Dichter Jean Cocteau: „Mann muss der Mode alles vergeben – sie stirbt so jung.“ Okay. Vergeben. zott
„Im Gewand der Zeit – 1800 bis 2000“ ist bis zum 18. Februar 2001 zu sehen. Begleitet wird die Ausstellung von Kinderferienkursen (2./3. Januar), einer Modenschau junger Bremer DesignerInnen (28. Januar, 17 Uhr) sowie Vorträgen: Am 5. Dezember referiert Prof. Waltraud Dölp von der Hochschule für Künste über „Mode-Wandel 2000“ (19 Uhr); am 23. Januar informiert die Kuratorin Dr. Uta Bernsmeier über den Modewandel zu den Jahrhundertwenden. Öffnungszeiten: Di 10-21 Uhr, Mi bis So 10-17 Uhr. Infos: Tel.: 361 35 75; www.bremen.de/info/focke
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen