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Die Saat des Guten

Elefanten blühen und die Menschen auch: Die Kommunale Galerie Wilmersdorf zeigt im Rahmender Kulturtage der Ukraine Arbeiten der 1997 verstorbenen Volkskünstlerin Maria Prymatschenko

von IRINA KORNEJEWA

Maria Prymatschenko habe ich zufällig unter der Lupe entdeckt. Wieder einmal in Kiew, auf der Jagd nach ausgefallenen Briefmarken, bin ich auf sonderbare, magische, indianisch anmutende Bilder von wildbunten Tieren gestoßen. Ein völliges Wunder wurde mir das, als ich erfuhr, dass sie von einer Bäuerin aus Bolotnja, einem Nest nahe Kiew, von einer 80-jährigen, ungebildeten Frau stammen. Die Bilder sind zwischen Wirklichkeit und Träumen gesponnen. Und wer sich als Betrachter in dieses Netz fallen lassen will, kann den freundlichen Urwuchs des Menschlichen erahnen ...

Im Alter von 7 Jahren lähmte eine schwere Krankheit ein Bein des Mädchens Maria. Laufen konnte sie nicht mehr, und so musste sie ihre Fantasie auf alle Wege schicken. Erst mit dem Stöckchen im Sand, dann gekratzt in die Lehmwände ihrer Hütte, und später gemalt mit Wasserfarbe auf billigem Papier, hat Maria alles gezeichnet, was sie gesehen, geträumt und geliebt hat: Blumen, Himmel, Sonne, Bäume, Vögel, Tiere.

Wie manche Mädchen ihre Lieblingspuppe unter jeglichen Umständen durch das ganze Leben zerren, hat Maria die kindlich-bunten Farben in allen düsteren Momenten behalten. Chaos und Hunger nach der Revolution, in den Hitler-Jahren, als ihr Mann, der nie seinen Sohn sah, gefallen war ... Je grauer die Zeiten, desto wütender die Farben auf ihren Gemälden.

Entdeckt wurde Maria Prymatschenko bereits vor dem Krieg. 1936 nimmt sie mit großem Erfolg an den Experimentellen Ateliers der Volkskunst in Kiew teil. Seit den 60er-Jahren kommt keine größere Ausstellung der Malerei in der Ukraine ohne ihre Arbeiten aus. 1966 wurde ihr der Staatspreis der Sowjetrepublik Ukraine „Taras Schewtschenko“ verliehen. 1970 ernennt man sie zur Verdienten Malerin, und 1988 zur Volkskünstlerin der Ukraine. Titel, die ihre Fantasie verstaatlichen wollten. Das hat sie gefreut, aber nicht eingefangen für den Hammer-und-Sichel-Pomp der Sowjetunion.

Die Kunst der Prymatschenko gedeiht aus Mythen, Märchen und Volksliedern. Ihre Arbeiten, die mit charakteristischen gestickten Hemdmustern, Ostereiermalereien und typischen Alltagsgegenständen gespickt sind, werden als „Holzschnitt-Enzyklopädie des ukrainischen Dorflebens“ bezeichnet. Doch sie sind mehr als eine folkloristische Ansichtskarte: Prymatschenkos Ukraine ist der naive, lichte Traum vom schönen Leben, das an Wunder glaubt und das Schlaue nicht verachtet. Ihre Kunst ist zutiefst menschlich, und deswegen auch eine universelle Angelegenheit.

Eine Welt für sich sind darin die Chimären: „Der grüne Elefant“, „Der einsame Löwe“, „Das Krokodil im Baum“, „Der uralte Affe“, „Der lachende Tiger“, „Die dicke Giraffe“, „Die ukrainische Kobra“ oder „Ein Tier, das es seit Milliarden Jahren nicht mehr gibt“ – wenn man all die hinreißenden, ekligen, komischen, schrecklichen, lustigen, dramatisch vermenschlichten Tierfratzen zusammentut, kommt eine gigantische „menschliche Komödie“ zum Vorschein.

Ihre wilden Tiere, reale und erdachte, ausstaffiert mit Blümchen und grellen Mustern, gleichen zarten Schmetterlingen inmitten eines paradiesischen Herbariums. Auf der Rückseite der Zeichnungen – obligatorische Erklärungen der Autorin, mal einfältig, mal neunmalklug: „Der wilde Dachs. Aus der Nase speiht das Feuer, im Maul stecken Hauer. Er ist aber kein Bösling, er ist gut“. Oder: „Der rosafarbene Bär, der durch den Wald läuft und den Menschen nichts Böses tut“. Eine seltene Gabe besaß die 1997 gestorbene Malerin – das Böse im Guten zu spiegeln, im Schrecklichen das Schöne und im Schönen das Schreckliche zu deuten: „Ich zeichne sonnige Blumen, weil ich die Menschen lieb habe. Ich schaffe sie zur Freude der Menschen, dass meine Blumen so sind, wie das Leben des Volkes selbst, dass alle Völker einander liebten und die Leute lebten, wie Blumen auf Erde blühen.“ Zu viel des Guten?

Die naive Wucht der Bilder von Prymatschenko gibt einem für Momente die Ahnung, dass es unter Menschen anders zugehen könnte. Dieser Augenblick zappelt in wunderlichen Gespinsten aus Wunsch und Traum und würde gerne länger bleiben.

Maria Prymatschenko: Meine Welt (mit Fotografien von Wiktor Maruschtschenko), bis 3.12., täglich 12-18 Uhr, Kommunale Galerie Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 174-176.

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