: contra
sittenwidrig
Das Gericht fragte gesellschaftliche Institutionen, ob sie Prostitution noch für unsittlich halten. Auszüge aus den Antworten:
Industrie- und Handelskammer: „Zumindest ist ein Bedeutungswandel dahingehend zu konstatieren, dass die Ausübung der Prostitution in Gaststättenbetrieben nicht mehr so gewertet werden kann, dass hierin generell ein ‚der Unsittlichkeit Vorschub leisten‘ gesehen wird.“
Zentralverband des Deutschen Handwerks: „Dort, wo Prostitution ohne kriminelle Begleiterscheinungen betrieben wird und das Selbstbestimmungsrecht gewahrt ist, halten wir es für angebracht, autonome Entscheidungen der Prostituierten nicht von vornherein als mit den ‚Grundsätzen der Sittlichkeit‘ unvereinbar im Ergebnis aufzuheben.“
Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG): Prostitution und die Nachfrage danach gehören zur heutigen Gesellschaft.“
Caritasverband Berlin: „Die Entziehung einer Gaststättenerlaubnis, in der die Prostituierten ihrer Tätigkeit unter den in Ihrem Schreiben geschilderten Umständen nachgehen, wäre unter den genannten Gesichtspunkten nahezu widersinnig.“
Deutscher Juristinnenbund (djb): „Fast 90 Prozent der befragten Mitglieder halten die freiwillige, nicht von Kriminalität begleitete Prostitution nicht für sittenwidrig.“
Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen e.V.: „Der verhandelte Fall des Widerrufs einer Gaststättenerlaubnis (...) macht nach Ansicht der EAF eher eine recht bedenkliche doppelte Moral sichtbar, wenn hier mit dem Argument der Unsittlichkeit der Betrieb stillgelegt werden soll.“
Institut für Kriminalwissenschaft Münster, Professorin Ursula Nelles: „Sittenwidrig ist nicht die Prostitution, sondern unanständig und bigott ist die Art und Weise, in der unsere Rechtsordnung mit Prostituierten verfährt. Es ist längst an der Zeit, dass sich auch in der deutschen Justiz die gewandelte europäische Auffassung niederschlägt, dass Prostitution eine Berufstätigkeit ist.“
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