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Das Sterben hält an

Auch wenn die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Afrika zu sinken beginnt – die große Katastrophe kommt erst noch

„In vielen Ländern dauert die Epidemie schon so lange, dass viele Leute bereits betroffen sind und weniger Menschen übrig bleiben, die noch in der Lage sind, sich zu infizieren“

von DOMINIC JOHNSON

Ist das die Trendwende? Zum ersten Mal ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Schwarzafrika dieses Jahr gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken. Der gestern vorgelegte neue Bericht des UN-Aids-Programms, der diese erfreuliche Botschaft enthält, spricht von einem „möglichen neuen Trend“ und erklärt das mit Präventionserfolgen. „Weil wirksame Präventionsmethoden in manchen Ländern Leute in die Lage versetzt haben, ihr HIV-Risiko zu verringern“, so der Bericht, „hat sich die jährliche Anzahl von Neuinfektionen in vielen Ländern stabilisiert oder ist sogar gefallen.“

Diese gute Nachricht relativiert Unaids jedoch gleich wieder. Denn ein weiterer Grund dafür, dass sich allmählich weniger Afrikaner neu mit dem HI-Virus anstecken, liegt darin, dass so viele sowieso schon infiziert sind. „In vielen Ländern dauert die Epidemie schon so lange an, dass viele Leute in der sexuell aktiven Bevölkerung bereits betroffen sind und weniger Leute übrig bleiben, die noch in der Lage sind, sich zu infizieren“, analysiert Unaids. Außerdem wird befürchtet, dass in bisher unterdurchschnittlich betroffenen Ländern ohne effiziente Präventionsprogramme, zum Beispiel Nigeria, die Infektionsraten demnächst zu „explodieren“ beginnen.

Die wirtschaftliche und soziale Katastrophe, die Aids in Afrika bedeutet, strebt ihrem Höhepunkt also erst noch entgegen. Denn auch wenn die Zahl der Neuinfektionen sinkt, steigt die Gesamtzahl der Infizierten weiter. Und erst recht steigt die Zahl derjenigen, die nach Jahren der Infektion sterben. „In den acht afrikanischen Ländern, wo mindestens 15 Prozent der heute Erwachsenen infiziert sind, zeigen konservative Analysen, dass Aids etwa ein Drittel der heute 15-Jährigen töten wird“, so der Bericht. Botswana liegt mit einer Infektionsrate von 36 Prozent der Bevölkerung nach wie vor an der Weltspitze.

Der neue Aids-Bericht widmet sich detailliert den wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklung. In Ländern, wo die Infektionsrate 20 Prozent übersteigt, rechnet Unaids mit einem Rückgang der Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von „bis zu zwei Prozent im Jahr“. Der Bericht zitiert eine Studie, wonach das Bruttosozialprodukt von Südafrika – wo die absolute Zahl an jährlichen Neuinfektionen am höchsten auf der Welt ist – im Jahr 2010 um 17 Prozent kleiner sein wird, als es ohne Aids der Fall wäre. „Das würde Südafrikas Wirtschaft um 22 Milliarden Dollar (50 Milliarden Mark) schrumpfen.“

Die UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) hat ähnlich düstere Rechnungen aufgestellt. In einem Arbeitspapier, das kommende Woche als Grundlage für eine afrikanische Regierungskonferenz zum Umgang mit Aids in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba dient, nennt die ECA einen bereits erfolgten Rückgang des afrikanischen Prokopfeinkommens von 0,7 Prozent im Jahr wegen Aids, dazu weitere 0,3 Prozent in schwer von Malaria befallenen Ländern. Diese Entwicklung wird nach gemeinsamen Prognosen von ECA und Unaids in den nächsten zehn Jahren Namibia, Simbabwe und Kenia am schwersten treffen.

Von Entwarnung kann also keine Rede sein. Vielmehr werden die verheerenden Auswirkungen der Seuche mit jedem Jahr deutlicher. Unaids zufolge sind es die ärmsten Familien, die am meisten unter der Ausbreitung von Aids leiden. Feldstudien in Sambia und Tansania zufolge haben sie am wenigsten Zugang zu Hilfe vom Staat oder wohlhabenden Freunden, wenn ein aktiver Arbeitnehmer krank wird und nichts mehr verdient, wenn Krankenpflege und Beerdigungen bezahlt und Waisenkinder von Verwandten aufgenommen werden müssen. Reiche Familien können hingegen eher auf Reserven, Freunde oder staatliche Ressourcen zurückgreifen. So fördert die Ausbreitung von Aids die soziale Ungleichheit.

Internationale Finanzorganisationen und reiche Geberländer integrieren zwar in jüngster Zeit diese Probleme immer mehr in ihre entwicklungspolitische Arbeit. „Es gibt eine große internationale Allianz von Staat, Zivilgesellschaft und multilateralen Institutionen im Kampf gegen Aids“, freute sich gestern in Berlin die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Doch den neuesten UN-Recherchen zufolge ist keineswegs gesichert, dass ein Wirtschaftsaufschwung in Afrika die Ausbreitung von Aids aufhalten könnte.

„Die Krankheit kann sich ausbreiten, wenn wirtschaftliche Entwicklung mit Arbeitsmigration und ungleichheitsverschärfenden Investitionen in Großprojekten verbunden ist“, warnt die ECA-Studie, die im Dezember in Addis Abeba diskutiert werden wird. Dies zu vermeiden, bedürfe einer anderen Wirtschaftspolitik: „HIV/Aids kann verlangsamt werden, wenn Bildungs- und Beschäftigungsraten besonders unter Frauen steigen, zusammen mit einer Entwicklung der Infrastruktur, die Zugang zum Gesundheitswesen und sicherer Wasserversorgung erleichtert.“

In vielen Ländern ist dies nicht der Fall. Es ist möglicherweise kein Zufall, dass Botswana – das Land mit der höchsten HIV-Infektionsrate der Welt – auch das höchste Prokopfeinkommen Schwarzafrikas hat. Botswanas Wirtschaftswunder basiert auf der streng regulierten Ausbeutung von Diamanten. Dies hat nach Meinung des botswanischen Experten Patrick Molutsi „eine reiche Regierung und eine arme Gesellschaft“ hervorgebracht. Die meisten Menschen seien davon abhängig, dass die Regierung ihre Einkünfte aus dem Diamantenexport kräftig in den sozialen Sektor investiert, was sie bislang auch tut. Aber „diese Fortschritte wird die Epidemie zunichte machen“, warnt Unaids und prognostiziert eine um ein Drittel schrumpfende Wirtschaft mit entsprechenden Schrumpfungen im Staatshaushalt. Gleichzeitig müssten die Gesundheitsausgaben verdreifacht werden. Wer soll das bezahlen?

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