Atomlobby nutzt Hintertür

In ihrem Grünbuch moniert Kommissarin De Palacio die Abhängigkeit der EU von Energieimporten, fordert mehr Atomstrom und stößt damit bei ihren Kollegen auf Kritik

BRÜSSEL taz ■ Wenn die für Energiefragen zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio ihren Kollegen heute ihr Grünbuch „Für eine europäische Strategie der Energieversorgungs-Sicherheit“ vorlegt, ist die Diskussion bereits in vollem Gange: Wie kann man Wirtschaftswachstum und Energieversorgung in Einklang bringen? Oder zugespitzter: Wie hält es die EU mit der Atomenergie?

„Die Europäische Union verbraucht immer mehr Energie (...) Deshalb steigt die Abhängigkeit von Energieimporten“, heißt es im Grünbuch. Und schon bei vielen Gelegenheiten hat die spanische Kommissarin deutlich gemacht, wie sie diesen Missstand beenden würde: durch mehr Atomenergie.

Zwar machen die Autoren mehrfach auf die Vorbehalte einiger Mitgliedsländer gegen Atomkraft und auf die damit verbundenen ökologischen Probleme aufmerksam. Gleichzeitig betonen sie aber, dass „die Forschung darüber, wie Atomabfälle behandelt werden können, aktiv verfolgt werden muss“. Denkbar sei, erneuerbare Energien mit Überschüssen aus „rentablen Energien wie Öl, Gas und Kernkraft“ zu fördern.

In einer ersten Reaktion auf das Grünbuch hat die Umweltorganisation Friends of the Earth kritisiert, dass es Energiesparmaßnahmen an keiner Stelle erwähnt. Stattdessen werde die Atomkraft als Ausweg aus der Importabhängigkeit genannt, obwohl 90 Prozent des Urans, das in europäischen Atomkraftwerken verwendet wird, eingeführt werden muss. Und: Wie wolle De Palacio eine atomfreundliche Energiepolitik durchsetzen, wenn 7 von 15 EU-Mitgliedstaaten keine AKWs besitzen und 5 sich auf Restlaufzeiten verständigt haben?

Der grüne Europaparlamentarier Claude Turmes bezeichnet die Situation als grotesk. In der vergangenen Woche habe die EU in Den Haag Atomenergie als Strategie zur Erreichung der Kioto-Ziele abgelehnt. Nun bringe das neue Grünbuch sie durch die Hintertür doch wieder ins Spiel.

Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen. Die Kommissarinnen Margot Wallström (Umwelt) und Michaele Schreyer (Haushalt) wollen das Grünbuch nur akzeptieren, wenn die atomfreundlichen Passagen gestrichen werden. Kollegen wie der dänische Entwicklungshilfekommissar Poul Nielson oder Wettbewerbskommissar Mario Monti könnten sich der Anti-Palacio-Front noch anschließen.DANIELA WEINGÄRTNER