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Die Reihen schließen sich wieder

Schwedens Tageszeitungen haben aktive Neonazis geoutet. Einige haben der Bewegung den Rücken gekehrt. Doch schon stehen Nachrücker bereit

aus Stockholm REINHARD WOLFF

„Gefahr für unser Rechtssystem!“ Ein Jahr ist es her, dass die schwedische Presse unter dieser Überschrift eine Aktion gegen die neonazistische Gewalt im Lande startete. Am 30. November erschienen die vier größten Zeitungen des Landes mit gleichen Texten. Gruppen und Personen, die hinter einer monatelangen Gewaltwelle standen oder vermutet wurden, wurden namhaft gemacht. Mit dem Abdruck ihres Fotos bekamen die 62 Täter ein Gesicht.

Die „Steckbriefaktion“ war und ist umstritten. Sie war – wie von Geouteten angerufene Gerichte feststellten – juristisch nicht angreifbar und hat Wirkung gezeigt. Diskutiert wird jedoch über ihren Sinn. „Ein verlorenes Jahr für den Nazismus“, überschrieb kürzlich die konservative Svenska Dagbladet eine Analyse. „Die Gewalttaten setzen sich fort“, bilanzierte hingegen am selben Tag die liberale Dagens Nyheter.

Tatsächlich stimmt beides. Übergriffe wie Polizistenmorde, Autobomben gegen einen Journalisten und die Ermordung eines Gewerkschafters – Taten, die die Aktion bewirkt hatten –, wurden nicht mehr verzeichnet. Diese in der braunen Szene als Siege gefeierten Gewalttaten erwiesen sich angesichts der Reaktion von Öffentlichkeit, Staatsschutz und Justiz im Gegenteil als gewaltige Rohrkrepierer für die „Bewegung“. Die schweigende Öffentlichkeit wurde wach, die Polizei verstärkte ihre Arbeit gegen rassistische Straftaten. Und die Justiz urteilte schnell und hart. Mehr noch, die Reihen der Neonazis lichteten sich. Nicht nur viele Mitläufer fühlten sich nicht mehr wohl in Gesellschaft von Gewaltverbrechern, auch Vorzeigenazis sprangen ab. Etwa Anders Högström, vor einem Jahr noch eifrig knüpfende Führungsspinne im Netzwerk Nationalsozialistische Front (siehe Porträt unten).

Doch die Reihen werden fleißig aufgefüllt. An den Schulen zielen die Werbungsversuche der Rechten auf immer jüngere SchülerInnen, meist Jungen von 14, 15 Jahren. Und das Militär macht seine Ankündigung nicht wahr, Nazis vom Wehrdienst und damit von Anwerbeversuchen bei ihren Kameraden fern zu halten. Auch die Gewalttaten mit rassistischem Hintergrund sind nicht weniger geworden. Zwar weist die Bilanz der letzten zwölf Monate „nur“ ein Todesopfer mit rassistischem Motiv auf – einen von zwei Angehörigen der White-Power-Bewegung ermordeten bisexuellen Mann. Doch die Strafanzeigen aus der Bevölkerung wegen Volks- und Rassenhetze nehmen zu. Die Soziologin Heléne Lööw jedoch ist überzeugt von einem „mindestens gleich hohen Niveau“ wie vor der Outing-Aktion: „Die Alltagskonflikte zwischen den Gruppen, die diese Taten verüben, ähneln immer mehr einem stetigen Kriegszustand, der an verschiedenen Orten im Land ungehindert hin und her wogt und offenbar nicht in den Griff zu bekommen ist.“

Eine andere Entwicklung könnte in Zukunft den AntirassistInnen noch mehr Probleme machen. Mit dem negativen Bild, mit dem die extrem militanten Neonazis die Bewegung auch in den eigenen Sympathisantenkreise desavouierten, ist offenbar gerade die „alte“ Generation dabei, wieder mehr Einfluss auf die Bewegung zu gewinnen. Laut schwedischem Verfassungsschutz und auch der Presse engagieren sich wieder eine Reihe von Rassisten, die in den 60er- und 70er-Jahren aktiv waren.

Eine starke Gruppe unter diesen AltrasSsisten versucht ihr altes Konzept der Bildung einer Neonazi-Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft zu verwirklichen. Mehrere größere Bauern- und Gutshöfe in verschiedenen Teilen Schwedens wurden in den letzten Monaten von Altrassisten aufgekauft. Das Konzept ist, dort eigene „Kollektive“ außerhalb der von ihnen als korrupt angesehenen Gesellschaft zu bilden. Ähnlich, wie es offenbar der Hamburger Neonazianwalt Jürgen Rieger im Sinne hatte, als er sich vor einigen Jahren ein Gut in Südschweden kaufte und – damals noch vergeblich – nach Interessenten für eine dort anzusiedelnde Lebensgemeinschaft suchte. Nach Informationen der Tageszeitung Dagens Nyheter plant die Nationalsozialistische Front beispielsweise auf einem der angekauften Gehöfte in der Nähe von Örebro die Einrichtung einer eigenen Parteischule.

Schulungen sind nach Polizeierkenntnissen schon länger ein wesentliches Betätigungsfeld der Neonazis. Da es für sie mit einer sensibler gewordenen Öffentlichkeit immer schwerer wird, geeignete Lokale anzumieten, setzt man nun offenbar auf selbst veranstaltete Kaderschulungen. Da dieser Entwicklung nicht mit Verboten begegnet werden kann, so lange keine ungesetzlichen Aktivitäten nachzuweisen sind, weist Heléne Lööw auf die Wichtigkeit unmittelbarer öffentlicher Reaktion und Aktion hin: „Die Gesellschaft muss sofort über eine wachsame Öffentlichkeit ihren Blick auf diese Aktivitäten richten, gleich, ob es sich um militante Gruppen handelt oder solche, die die Gesellschaft über demokratische Kanäle infiltrieren wollen.“

Auch einer anderen Neonaziaktivität ist man in Schweden nicht Herr geworden: der Produktion und des Vertriebs von White-Power-Musik. Nach wie vor ist Schweden wegen seiner liberalen Gesetzgebung Europas Vertriebszentrum dieser Musik, die für viele der Einstieg in die Bewegung ist, vor allem aber eine der wichtigsten Geldquellen der Neonazis. Schwedens Justiz musste im Gegenteil in einem ersten Musterprozess wegen unzureichender polizeilicher Ermittlungsarbeit eine empfindliche Niederlage einstecken. Die Neonazis hat es gefreut.

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