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Keine Zeit für Zicken

Von Mobbing, Bundesverdienstkreuzen, alten Gedanken und der Sehnsucht nach Haut: Drei Positive und ihr Leben mit dem HI-Virus. Eine Reportage zum Welt-AIDS-Tag  ■ Von Sandra Wilsdorf

Sie rufen „hiv hiv hurra“ und erklären HIV mit „Hab' ich vergessen“. Sie wollen sich nicht über das Virus definieren und nicht in Selbsthilfegruppen rumjammern. Über ihr Leben mit HIV sagen sie: „Scheiße“, aber sie verstecken sich nicht, sondern reden darüber. Petra Klüfer hat es bis zum Bundesverdienstkreuz gebracht: Seit 1993 ist sie im Vorstand der Hamburger AIDS-Hilfe, sie sitzt im Deligiertenrat der Deutschen AIDS-Hilfe und im Community Board, das den deutschen AIDS-Kongress im kommenden Sommer vorbereitet. 1985 hat sie sich infiziert, 1992 hat sie es erfahren. Als Heterosexuelle fühlte sie sich keiner der so genannten Risikogruppen zugehörig und reagierte mit Gleichmut auf den Vorschlag ihrer Ärztin, einen Test zu machen, weil die Gürtelrose hartnäckiger war, als sie hätte sein dürfen.

Petra Klüfer hat sich in einer Zeit angesteckt, als noch niemand an Kondome gegen HIV dachte. „Es war eine Affäre, die ein paar Monate gedauert hat.“ Er war Ingenieur, ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr woanders. Im Büro durfte niemand von ihrer Krankheit wissen. Nur der Sachbearbeiter ihrer Krankenkasse wusste Bescheid. Doch leider aß der zufällig in derselben Kantine wie Klüfers Kollegen. Sein Spruch „Die sieht aber toll aus für ihre schwere Erkrankung“ war der Anpfiff für eine Mobbing-Kampagne in ihrer Firma, „die mich 1997 in eine Rente gedrängt hat, die ich nicht wollte“, sagt Petra Klüfer.

Auch Peter Quirmbach hat das Virus den Job gekostet. „Ich hatte keine Lust, dagegen etwas zu unternehmen.“ Und keine Zeit. Denn als Quirmbachs Test 1996 positiv war, ging es seinem Freund Danny schon schlecht. „Als ich ihm gesagt habe, ich hab' es, ist er zusammengebrochen.“ Sie haben nachvollzogen, wie es passiert ist: „Ich hatte an einem Finger eine Wunde vom Salatmachen“, sagt Quirmbach und zeigt, welcher es war. Danny hatte eiternde Wunden am ganzen Körper. „Als ich das Laken gewechselt habe, muss es passiert sein.“

Am Anfang war es Dannys Virus. „Es hat lange gedauert, bis es meiner wurde.“ Die beiden kannten sich 16 Jahre, 1993 waren sie zusammengezogen. Wenn Danny im Krankenhaus war, hat Peter dreimal am Tag koscheres Essen die Lange Reihe hinuntergetragen. Danny war orthodoxer Jude. Peter Quirmbach erzählt von dem gemeinsamen Jahr in Jerusalem, als Danny einfach alle Medikamente abgesetzt hat, davon, dass sie dann doch zurückkommen mussten, weil es ihm zu schlecht ging. Und wie Danny – sechs Wochen vor seinem Tod – in Ilona Christens Talkshow gegangen ist, nur um zu sagen: „Ich kann Tabletten fressen bis der Arzt kommt, aber leben tue ich wegen Peter.“ Das ist jetzt fast drei Jahre her. „Manchmal bin ich wütend darüber, dass er sich einfach so vom Acker gemacht hat.“

Aber das ist eine andere Wut als die über Menschen, die die Türklinke nur mit dem Taschentuch anfassen, weil die AIDS-Seelsorge im selben Haus ist. Oder wenn Petra Klüfer nur mit Handschuhen massiert wird: „Ich höre immer von Männern, dass sie keine Kondome benutzen wegen des Lustverlustes. Was glauben die wohl, was das ist?“ Wütend macht sie auch die häufige Unterstellung, man habe doch selber schuld. „Krebs kriegt man, AIDS holt man sich – so sehen das immer noch viele“, sagt Petra Klüfer. Mit ihrer Familie hat sie Glück gehabt: „Meine Mutter hat mich nur in den Arm genommen.“ Peter Quirmbach hat zumindest Glück mit seinen Geschwis-tern. Die Mutter erkundigt sich über sie nach ihm. „Ich habe ihr irgendwann geschrieben, dass ich für solche Zicken keine Zeit habe.“

Leben mit HIV, das ist auch ein Leben mit Tabletten und ihren Nebenwirkungen. „Das ist viel besser geworden, die ersten waren dick wie Maden, und man musste sie ständig nehmen“, erzählt Peter Quirmbach. Eigentlich sollte er alle zwei Monate die Blutwerte kontrollieren lassen. Aber er geht „so nach Gefühl“. Und wenn, nimmt er „den schönen Weg ins Krankenhaus“, den durch den Park. Petra Klüfer erträgt alle unerwünschten Wirkungen: die Fettverlagerungen von den Hüften ins Gesicht und in den Nacken, die Schmerzen, die sie nicht weiter als 20 Meter gehen lassen, den Durchfall, die Alpträume.

Leben mit HIV ist auch ein Leben, in dem die Liebe noch komplizierter ist als ohnehin: „Ich kann mir gut einreden, dass Sex mit 55 nicht mehr das Wichtigste ist“, sagt Petra Klüfer. Trotzdem hat sie es mal mit einer Anzeige versucht: „Aber als er mich gleich am ersten Abend fragte, ob ich ihn pflegen würde, hatte ich genug.“ Ihr fehlt die Zärtlichkeit, wie Peter Quirmbach auch. „Ich habe keine Sex-, ich habe Hautphantasien.“ Sex hatte er seit drei Jahren nicht mehr.

Mit dem Welt-AIDS-Tag haben beide so ihre Probleme. „Ich finde das total verlogen, einmal im Jahr mit so einem Schleifchen rumzulaufen“, sagt Quirmbach. „Wenn sich die Leute so einen Teddy kaufen, kommt mir das vor wie Ablass“, sagt Petra Klüfer. Die meis-ten hätten das Thema doch gar nicht mehr im Kopf. „Die denken, mit den Tabletten wäre es getan“, sagt Peter Quirmbach. Beide fordern mehr Prävention. „Die Jugendlichen müssen mal so ein Hivchen wie uns sehen und sprechen“, sagt Klüfer.

Leben mit HIV ist aber auch ein Leben mit Plänen. „Ich will im kommenden Jahr eine Kochschule aufmachen“, sagt Peter Quirmbach. Aber er hat auch Angst. Weil sein linkes Auge seit einigen Wochen vernebelt ist. „Aber zum Arzt gehe ich erst nach dem Urlaub.“

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