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Kleinkinder als Schutzschilde gegen die Küstenwache

aus Rom MICHAEL BRAUN

„Wir reden gelegentlich über Funk mit denen, und obwohl wir gar nicht wissen, wer die Boote steuert, sind manche schon alte Bekannte – wir erkennen sie an der Stimme.“ Für ausgebuffte Routiniers im Schleppergeschäft hält der Offizier der Guardia di Finanza seine Gegenspieler, die bei Nacht mit ihren PS-starken Schlauchbooten voller illegaler Immigranten an Bord die albanischen Häfen verlassen.

Italien hat im Kanal von Otranto – dort wo der Abstand zu Albanien gerade 80 Kilometer beträgt – in den letzten Jahren schwer aufgerüstet. Hier war es seit 1991 am leichtesten, nach Italien zu gelangen: Mit Hilfe albanischer Schlepper trafen zehntausende Einwanderer aus Albanien selbst, aus den Kurdengebieten Iraks und der Türkei, aus Asien in Apulien ein. Die Marine, die Küstenwache, die Guardia di Finanza gehen heute mit Hightech auf Schlepperjagd, sie verfügen über eine flächendeckende Radarüberwachung, über Off-Shore-Schnellboote, über mit Nachtsichtgeräten ausgerüstete Helikopter. Unbeobachtet bringt heute kaum noch ein Schlepperboot die Reise hinter sich.

Immer wieder lassen Menschen dabei ihr Leben. Im Juli starben zwei Beamte der Guardia di Finanza und zwei kurdische Flüchtlinge bei einer Bootskollision. Tote sind einkalkuliert, denn die Passagiere werden den Schleppern zum Ballast, der brutal über Bord geworfen wird, wenn italienische Patrouillen zu dicht auf den Fersen sind. Und sind die Schlepper nervös, dann zwingen sie ihre menschliche Fracht auch schon mal, mehrere hundert Meter von der Küste entfernt ins Wasser zu springen – so wie im August, als zwei ertrunkene Frauen an den apulischen Strand getrieben wurden. In den letzten Monaten beobachtete die Guardia di Finanza dann eine neue Taktik: Die albanischen Bootsführer benutzten in der Konfrontation mit ihren Verfolgern vor allem Kleinkinder als Schutzschilde, erzwangen mit der Drohung, sie ins Wasser zu werfen, das Beidrehen der italienischen Schiffe.

Dennoch mussten die albanischen Banden einen empfindlichen Rückgang des Geschäfts hinnehmen. 1999 wurden 160, im laufenden Jahr knapp 100 der pro Stück immerhin 90.000 Mark teuren Boote beschlagnahmt; zugleich halbierte sich (wohlgemerkt bei Verstärkung der Überwachung) die Zahl der aufgegriffenen illegalen Einwanderer auf etwa 20.000. Seit 1999 auch müssen die verhafteten Schlepper mit Knast bis zu drei Jahren rechnen.

Zerschlagen sind die ebenso kleinen wie wohlorganisierten Schlepperbanden deshalb allerdings nicht: 20.000 Passagiere bedeuten immer noch Einnahmen zwischen 10 und 20 Millionen Mark. Über die Struktur der Banden weiß die italienische Polizei so gut wie nichts: Ganz wie die italienischen Mafiosi halten die verhafteten Albaner in der Regel dicht, und die albanischen Behörden lassen zwar mittlerweile Patrouillenflüge und -fahrten auch vor der eigenen Küste zu, sind aber bei den Ermittlungen nicht sonderlich hilfreich.

Aufschlüsse über das Business im Kanal von Otranto liefern bisher allein die Aussagen der Bootsflüchtlinge. Darf man ihnen glauben, dann organisieren die albanischen Gangs ihr Gewerbe als professionell geführtes illegales Reisebüro. Da kann man verbilligte Gruppenreisen buchen, auch „all inclusive“-Lösungen, gegen Aufpreis natürlich: In Apulien gibt’s neue Kleidung, einen Schlafplatz sowie die Weiterfahrt ins Binnenland, und bei Scheitern der ersten Überfahrt wird ein zweiter, manchmal auch ein dritter Versuch garantiert. Garantien, die nicht mehr gelten, wenn den Schleusern selbst Verhaftung droht: Dann bürgen sie nicht einmal mehr für das Leben ihrer Kunden.

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