: Callas me bad
Zuerst das Orchester. Ein dunkles Murmeln, anschwellend, dräuendes Ungemach. Gioconda, allein, sie nimmt die Giftampulle, die für ihre Rivalin Laura bestimmt war. Laura, der sie das Leben gerettet und damit die Liebe und sich selbst geopfert hat. Schauplatz: das Venedig des 17. Jahrhunderts. Vierter und letzter Akt der Oper La Gioconda (die Heitere), zweite Szene. Viel Niedertracht, Intrigengespinn, vermaledeite Leidenschaft liegt hinter uns. Hinter Gioconda. Sie beschließt, in den Freitod zu gehen.
Suicidio! ... Ein Schrei. Ein Fanal. Ein Ausbruch, und doch diszipliniert, nicht entgleisend. In questi / fieri momenti (in diesen grausamen, schrecklichen Momenten) / tu sol mi resti (du allein bleibst mir), / e il cor mi tenti (und mein Herz stellt mich auf die Probe). Maria Callas, die Primadonna assoluta, gerühmt für ihre dramatische Ausdruckskraft, gerühmt als beste Koloratursopranistin ihrer Zeit. Aber da ist noch mehr. Selbstmordversuch 1970, Barbiturate. Zuvor die unselige Beziehung mit Onassis, der sie kalt abservierte, um Jacky Kennedy 1968 zu heiraten. Ultima voce / del mio destino (letzter Ausruf meines Schicksals), die Stimme fließt nicht frei, sie drückt, sie presst, zerdehnt, ein Zwang, dunkel raunendes Unglück, ultima croce / del mio cammin (letztes Kreuz meines Weges). Wieder ein Schrei, kein Ausbruch mehr, nur ein Messer, das in die Wunde fährt. Neun Jahre mit Onassis, Demütigung: „Du fettes altes Weib, deine Stimme ist eingerostet.“ Sie ließ sich einen Bandwurm einsetzen, um abzunehmen.
Das Orchester allein, wiederholt das Motiv, pausiert, wechselt das Tempo. E un dì leggiaddre / volavan l’ore (und als die Stunden lieblich verflogen), ein Schnörkel, Ausflucht in süße Erinnerung, ein Hauch von Walzer, der hinüberreicht bis zu den Worten: perdei la madre (verlor ich die Mutter), die Mutter, von der die Callas sagte, sie habe ihr die Kindheit gestohlen, und mit der sie nicht mehr sprach bis zu ihrem eigenen Tod 1977, perdei l’amore (ich verlor die Liebe), und wieder: perdei l’amore, und nun bündelt sich alles in kontrolliertem Furor, vinsi l’infausta / gelosa febre (ich bezwang das Verhängnis fiebriger Eifersucht)!
Alles gegeben, bis nichts mehr bleibt. Die Stimme sinkt ab, tief, sehr tief: or piombo esausta / fra le tenèbre (jetzt stürze ich erschöpft in die Finsternis)! Und wieder: fra le tenèbre! Noch tiefer, noch langsamer, so langsam, wie sonst nur Billie Holiday singen kann. Denn es geht um die Wahrheit, um das, was jetzt ist, das Ende, und jede Klage, jedes Aufbäumen wird getilgt in der letzten Sentenz, deren dreimalige Wiederholung alles besiegelt: Tocco alla mèta ... (ich bin an meinem Ziel angelangt) / domando al cielo (ich bete zum Himmel) / di dormir queta (dass ich ruhig schlafen kann) / dentro l’avel ... (im Grab)
VERENA KERN
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