: Heinze Ebeling hat den Kanal voll
Die Untersuchung oder Der Untergang des Hauses Kohl, Teil 11
von JOCHEN SCHMIDT
„Schalt mal um, Heinze“, sagte Gerda Ebeling zu ihrem Mann, der aber schon wieder eingeschlafen war. „Ick kann die Fresse nich mehr sehn.“
„Hä?“, Heinz Ebeling hatte gerade von der hübschen Schwarzen aus der Bacardi-Werbung geträumt.
„Na, dem Kohl seine Fresse. Der hat doch ’n Einlauf verdient, dass ihm die Pickel wie Leuchtkugeln ausm Jesichte spritzen. Heinze? Herr Ebeling!“ „Mensch, du jehst mir uffn Sack mit dein Kohl, watt is denn?“
„Würdeste bitte deine Wichsgriffel betätigen und uns von diesem Anblick befreien.“
„Früher fandsten doch so schau.“
„Aber jetz habick Feierabend. Schalt endlich um.“
„Wo is denn ditt Ding?“
„Haste schon wieder die Fernbedienung verbummelt? Rück maln Stück, die rutscht immer in die Spalte hier rin.“
„Der hat scheints schon wieder watt jemacht.“
„Watt wird er schon jemacht haben.“
„Weeß ick nich, willst du ditt wissen?“
„Nee, eben nich, hier, ach Scheiße, wer hatt denn da Appelgriepsche ringestoppt?“
Heinz Ebeling hatte keine Lust, mit seiner Frau zu reden, deshalb stellte er sich abends gern schlafend. Seiner Frau war das recht, so musste sie nicht mit ihm reden. Nur über das Programm gerieten sie manchmal aneinander, aber da Frau Ebeling die Fernbedienung nicht bedienen konnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gucken, was ihrem Mann gefiel.
„Bring mir mal ’n Bier, Herzblatt“, sagte Heinz Ebeling, „ick hab son komischen Jeschmack im Mund.“ Frau Ebeling quälte sich aus der Couch hoch, zog sich die Jogginghose über den Hintern und verschwand in der Küche. Mit zwei Büchsen Becks kam sie wieder.
„Wattn jetze, nur Punkerpisse?“, fragte Herr Ebeling entsetzt, „Dafür sind wir ’89 nich uff die Straße jejangen.“
„Du hast doch den Kohl selber jewählt. Jetz musste ooch sein Bier trinken.“
„Und du warst inne Partei.“
„Und du hast mir jeheiratet.“ „Ditt kannste nich vergleichen.“
Herr Ebeling pulte sich den Flaum aus dem Bauchnabel. Die Fernbedienung blieb verschwunden. Ratlos saßen die beiden vor dem Apparat. Sie hatten noch nie ausprobiert, ob man auch anders umschalten konnten. Außerdem hätte dafür einer von beiden aufstehen müssen.
„Kiek ma, hat der nich immer ne Brille jehabt?“, fragte Frau Ebeling.
„Hatter doch immer noch.“
„Nee, kiek do ma hin, du Doofie, der hat jakeene Brille mehr.“
„Tatsache, die Sau.“
Heinz Ebeling war Nachtportier bei VLTR. Seine Frau war Facharbeiterin für Textilverarbeitung, aber schon kurz nach der Wende arbeitslos geworden. Manchmal verdiente sie sich ein bisschen als Zeitungsausträgerin dazu.
„Wenn ick jewusst hätte, wie die uns übern Tisch ziehn, vor allem hier den, wie hieß er gleich?“, fragte Heinz Ebeling seine Frau.
„Der eene mit ditt Haus in Zossen?“
„Wo kam der überhaupt her?“
„Ick gloobe, der war ooch inne Partei.“
„Die Sau. Die hättense alle glei uffhäng solln.“
„Watt willst du denn, du warst doch ooch inne Partei.“
„Na und, ditt is do wohl watt völlich andret.“
Frau Ebeling ging zum Fenster und zog den Vorhang beiseite.
„Kiek ma, jetzt springt die schon wieder nackich durch die Wohnung.“
„Wer?“
„Die du immer so hübsch findest.“
„Ach quatsch, ick find keene hübsch.“
„Und da oben is nie Licht.“
„Wo oben?“
„Wo der Bengel von deim Chef wohnt. Dem hat sein Vater ne Wohnung jekooft und jetz isser nie da. Obwohl, die Lampe stand neulich nich schief. Heinze?“
„Mmmh.“
„Biste sicher, dass de nich druffsitzt?“
„Wo druff?“
„Na, uff die Fernbedienung.“
Heinz Ebeling beugte sich stöhnend vor und suchte unter sich nach der Fernbedienung.
„Tatsache, hier isse.“
„Na Jottseidank.“
„Watt willstn gucken?“
„Heut is doch ‚Gernsehabend‘ mit Caterina Valente.“
„Hatt die nich Krebs?“
„Nee, ditt war die Griechin.“
„Welche Griechin?“
„Na die kleene, die du immer so hübsch fandst.“
„Die von gegenüber?“
„Doch nich die, die, die da jesungen hat, wo wir im Urlaub warn.“
„Wir warn im Urlaub?“
„Mann, manchmal denk ick, du bist jenauso bekloppt wie der Kohl.“
„Die Sau.“
„Wir könn ooch den Krimi sehn uff Sat1.“
„Da komm ick wenigstens zu meene Pflichtbrust.“
„Meinste, der hat wirklich Steuern jeklaut?“
„Wer?“
„Na der Kohl.“
„Watt weeß icke.“
„Setz da hin und hör uff zu quatschen. Wenns watt wichtiget wär, würdenset nich inne Nachrichten bringen.“
Jochen Schmidt ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Sein Erzählband „Triumphgemüse“ ist gerade im Beck-Verlag erschienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen