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Das Ende der Pressefreiheit

Gestern begann der Staatsbesuch von Marokkos Premierminister Youssoufi in Deutschland.Vor seiner Abreise hatte er noch schnell drei unabhängige Wochenzeitungen schließen lassen

aus Rabat REINER WANDLER

Während sich Marokkos sozialistischer Premierminister Abderrahmane Youssoufi ab heute bei seinem ersten Staatsbesuch in Berlin als Vater der politischen Öffnung feiern lässt, macht er zu Hause Tabula rasa. Am Samstagabend ordnete er die Schließung der drei kritischen Wochenzeitungen des Landes an: Le Journal, Demain und Assahafi.

Youssoufi reagiert damit auf Berichte über die Vergangenheit seiner Union der Sozialistischen Volkskräfte (USFP). Der Stein des Anstoßes war ein Brief von Mohamed Basri, einem der Helden der marokkanischen Unabhängigkeit, den Le Journal in ihrer letzten Ausgabe veröffentlichte. Falls das in den frühen 70er-Jahren an die damalige Leitung der USFP gerichtete Schreiben echt ist, würde es belegen, dass führende Sozialisten in den gescheiterten Putsch gegen den im vergangenen Jahr verstorbenen König Hassan II. verwickelt waren. Unter denen, die dann vom Versuch, 1972 den königlichen Jet durch Jagdflugzeuge unter dem Kommando von General Mohamed Oufkir abschießen zu lassen, gewusst hätten, befindet sich der Premierminister höchstpersönlich. Diese Woche wollte Le Journal weitere Details nachschieben. Assahafi, die arabischsprachige Publikation aus demselben Haus sowie das Schwesterblatt Demain griffen das Thema ebenfalls auf. Doch diese Recherchen werden die Leser nie zu Gesicht bekommen.

Youssoufi, der in seinen jungen Jahren einer der erbittertsten Gegner von Hassan II. war und dafür mit Exil und einer Verurteilung zum Tode in Abwesenheit bezahlte, leugnet dagegen strikt, das Schreiben jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Er wittert eine „reaktionären Verschwörung, um unsere Institutionen zu schwächen“. Das Verbot der drei Zeitungen – und damit das Ende der nunmehr drei Jahre währenden zaghaften Öffnung auf dem Pressemarkt – sei notwendig gewesen, „um die Einheit zwischen der Monarchie und den Parteien zu wahren“.

„Gegen die Konspiration: Hoch lebe die Monarchie, die unteilbare Nation, die Demokratie, die Armee und die USFP“, erhob die USFP-eigene Tageszeitung Libération bereits vor Tagen die sozialistische Partei in den Rang der heiligen Symbole Marokkos.

Doch die Schließung der Zeitungen kann die Debatte über die Vergangenheit nicht mehr stoppen. Längst werden Stimmen laut, die die Beteiligung der Sozialisten am Putschversuch bestätigen. Erdölminister Abraham Serfaty reichte seine Rücktritt ein. Der Kommunist, der länger als kein anderer unter Hassan II. im Exil leben musste, zeigt sich überzeugt von der Echtheit des Schreibens. „Youssoufi bleibt nichts mehr anderes übrig, als öffentlich Stellung zu beziehen, dem König sein Amt als Premier zur Verfügung zu stellen und den Mitgliedern der USFP seinen Rücktritt anzubieten“, erklärt Serfaty in der Ausgabe von Le Journal, die am Samstag hätte erscheinen sollen. Führende Linksintellektuelle des Landes glauben ebenfalls an die Echtheit des Briefes, auch wenn sie den Zeitpunkt einer umfassenden Aufarbeitung der Vergangenheit noch nicht gekommen sehen, da dies die Demokratisierung gefährden könne.

Der Regierung waren die drei Publikationen schon länger ein Dorn im Auge. Ob ein Interview mit dem Führer der für die Unabhängigkeit der 1975 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara eintretenden Polisario, Mohamed Abdelaziz, ein Gespräch mit dem damaligen israelischen Regierungschef Netanjahu oder Berichte über Korruption in der Armee, nichts war den Redaktionen heilig. Mehrere Male wurde deshalb die Auslieferung der Blätter verboten. „Nach der Armee und der Sahara haben diese Wochenzeitungen einen erneuten Schritt in ihrer Kampagne unternommen, um die Grundlagen der Stabilität des Königreiches in Misskredit zu bringen“, heißt es nun im Kommuniqué von Youssoufi. Die Regierung macht hinter der Berichterstattung „ein internationales Komplott“ aus: Le Journal wird in Frankreich gedruckt, Demain in Spanien. Vor allem die französische Tageszeitung Le Monde und die Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP) griffen die von den beiden Wochenzeitungen veröffentlichten Artikel immer wieder auf.

Claude Juvenal, Chef des marrokanischen AFP-Büros, der immer wieder über Menschenrechtsfragen und Korruption berichtete, wurde bereits vor wenigen Wochen ausgewiesen. Spanischen Kollegen, die sich mit Juvenal solidarisierten, warf die staatliche marokkanische Nachrichtenagentur MAP „Neokolonialismus“ vor. Und ein BBC-Korrespondent bekam die Quittung für seine Kritik ebenfalls in Form einer MAP-Depesche: Die Agentur berichtete detailliert über eine Meinungsverschiedenheit, die der Journalist mit einer Kassiererin hatte, als er ein defektes Handy umtauschen wollte.

Juvenal habe gegen „die berufliche Ethik verstoßen“ und die „Gefühle des Volkes verletzt“, rechtfertigt dagegen Youssoufi diese Maßnahmen. „Wenn es keine Gründe dafür gegeben hätte, glauben Sie denn, ich würde dann so handeln und meinem Ruf schaden?“, sagte der Premier vor deutschen Journalisten im Vorfeld seines Berlin-Besuchs.

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