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Rote und Grüne entfernen sich

Im Koalitionsstreit um die Entfernungspauschale ist nicht nur ein grüner Erfolg in Gefahr, sondern auch die Strategie für die zweite Halbzeit der Regierung: die Profilierung des kleinen Koalitionspartners mit dem großen Kanzler Schröder statt gegen ihn

von PATRIK SCHWARZ

Fraktionschef Rezzo Schlauch wettert, die grünen Landesminister Michael Vesper und Klaus Müller diktieren Reportern ihre Empörung in den Block, und zu Wochenbeginn wollen die Grünen die Sozialdemokraten zum Koalitionsgespräch zitieren. Die jüngste Wendung von Bundeskanzler Gerhard Schröder bei der Entfernungspauschale hielt Rot-Grün auch das Wochenende über beschäftigt.

Noch bis vor ein paar Tagen bekamen führende Grüne beim Thema Entfernungspauschale leuchtende Augen. Einen richtigen Erfolg glaubte die Öko-Partei da verbucht zu haben.

Weil der Bundeskanzler im Herbst aufgebrachten Autofahrern über den Ölpreis-Schock helfen wollte, hatte er eine Anhebung der Kilometerpauschale ins Auge gefasst. Die Grünen ließen sich ihre Einwilligung gegen ein Zugeständnis abhandeln: Die Kilometerpauschale sollte in eine Entfernungspauschale von 80 Pfennig für alle Verkehrsmittel umgewandelt werden.

Im grünen Führungszirkel galt der Kompromiss sogar als Modell für ein gedeihliches Auskommen der Koalitionspartner in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Die Grünen profilieren sich mit Schröder statt gegen ihn. Zum richtigen Zeitpunkt hätte die Partei den richtigen Dreh gefunden – und dem Autokanzler auf diese Weise ein urgrünes Anliegen schmackhaft gemacht: Bus- und Bahnreisende würden gegenüber Autofahrern nicht länger benachteiligt.

Was die Berliner Koalitionäre außer Acht gelassen hatten, waren die Finanzen. Weil ein Teil der Kosten von den Ländern aufzubringen ist, legten sich parteiübergreifend Ministerpräsidenten quer. Seit Schröder am Donnerstag von der einheitlichen Pauschale für Bahn- und Autofahrer abrückte, organisieren die Grünen Widerstand.

Wie groß der Unterschied in der Subventionierung letztlich ausfällt, war auch am Sonntag noch unklar. Bundeskanzler und SPD-Ministerpräsidenten hatten erst eine Staffelung vorgesehen, bei der Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel 60 Pfennig pro Kilometer steuerlich absetzen können und Autonutzer je nach Entfernung 70 oder 80 Pfennig. Inzwischen wird im Finanzministerium über einen Vorschlag nachgedacht, die einheitliche Pauschale zu erhalten, Bahnfahrern aber ein Limit von 8.000 bis 12.000 Mark jährlich zu setzen. Eine Jahres-Netzkarte erster Klasse, so erläutert das Ministerium, kostet rund 10.000 Mark.

„Unbezahlbar, unausgegoren und unökologisch“, nannte NRW-Bauminister Vesper (Grüne) das drohende Ende der Gleichbehandlung am Samstag. Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) kritisierte die Subventionierung von Fernpendlern als „Zersiedelungsprämie“. In dieselbe Kerbe schlägt eine Projektgruppe grüner Bundestagsabgeordneter um Albert Schmidt und Franziska Eichstädt-Bohlig. Pendler zu subventionieren, so ihr Argument, verstärkt die problematische Abwanderung aus der Stadt. Mittelfristig plädieren sie daher für einen entfernungsunabhängigen „Mobilitätszuschlag“.

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