: Vorsprung durch Schuhwerk
In der Kölner Ausstellung „Sneakers“ werden 400 Turnschuhmodelle von 1970 bis 2001 gezeigt. Sie dokumentieren auch den Wandel vom Sportsgeist zur Start-up-Philosophie
Auch wenn es merkwürdig scheint: Turnschuhe sind nicht zum Turnen da, sondern zum Vorzeigen, Schöntun und zum Imponieren. Das wissen wir. Wie sie das machen, dass sie den Mode- und Musikgeschmack ihres Trägers demonstrieren und seine sportlichen und weltanschaulichen Vorlieben kundtun – für die Beantwortung dieser Frage schafft eine längst überfällige Ausstellung endlich die Voraussetzungen.
Unter dem Titel „Sneakers“ zeigt das Kölner Museum „Popdom“, das der Designsammler und Pop-Aficionado Gerd Siekmann zehn Gehminuten vom Dom entfernt in heroischer Eigenverantwortung führt und finanziert, über 400 Modelle aus den letzten 30 Jahren. In transparenten Plastiktüten, die an die Wand genagelt sind, und auf gekippten Turnhallenbänken wird der Schuhkult nicht nur originell präsentiert, sondern durch alte Poster, Prospekte, Kataloge und original Schuhkartons auch gefühlsecht inszeniert. Axel Fischer, der in diesem Museum ein Jahr zuvor schon die Ausstellung „Skateboards“ gestaltet hat und selbst Skater und bekennender Turnschuhträger ist, wählte für die Präsentation die Perspektive des sneaker victim. Ein Einführungstext, der die eigene biografische Erfahrung zum Ausgangspunkt wählt, führt an die Ausstellung heran. Dabei werden die Modelle weitgehend mit informativen Kurztexten beschrieben, die Gattungen wie „Running“ und „Basketball“ exemplarisch anhand ihrer formalen Entwicklung kommentieren. Portraits der Firmen addidas, Nike Vans und Asics sowie eine Statistik über das Umsatzvolumen der führenden Turnschuhmarken der letzten Jahre runden die Darstellung ab. Die Diversifizierung des Produkts Turnschuh in Oldschool, Newschool, Sneaker, Trainer, Fashion Sport wird leider nicht genauer betrachtet.
Dabei schlägt auch ohne Zutun des Kurators irgendwann Quantität in Qualität um – einfach durch die Vergleichsmöglichkeiten, die die Masse der Objekte bietet. Ohne Träger und anderes störendes Beiwerk sieht man die Turnschuhe plötzlich weniger als Schuh und mehr als Designskulptur. Sie sind dann einem Möbelstück oder einem Auto ähnlicher als, sagen wir, einer Hose. Das wiederum macht deutlich, dass der entscheidende Kick von Turnschuhen nicht im Tragekomfort liegt, sondern in einer magischen Kombination von Technik und Design. Comicähnlich dynamisierte Linienführung, schimmernde Autolackfarben und porös, netzartig oder matt abgesetzte Hightech-Materialien suggerieren den entscheidenden Produktmehrwert: die Aura von Geschwindigkeit, Dynamik und Eleganz – „Vorsprung durch Technik“.
Auch wenn es die Kids sind, die die eifrigsten Kunden der Sportschuhindustrie darstellen, ist die zentrale Designbotschaft moderner Turnschuhe erschreckend erwachsen. Spätestens seit den 90er-Jahren lautet sie: den Gegner durch Style und Technik kaltstellen. Ein Ziel, das mit der aggressiven Moral der neuen Start-ups durchaus kompatibel ist. Auch deswegen sind „Trainer“ derzeit so erfolgreich.
Die früher einmal sprichwörtliche Botschaft von Turnschuhen wie Spaß, Spiel und Entspannung – wir erinnern uns an den „Turnschuhminister“ und die „Turnschuhgeneration“ – ist heute in den Hintergrund getreten. Selbst da, wo sie noch zu gelten scheint, etwa beim Skaten, ist sie meist nur eine maskierte Version des offiziellen Hochleistungswahns. Sport – das konnte man jetzt in Sydney sehen – ist nicht einfach Spiel, sondern Kampf um Geld, Prestige und Macht. Und nirgends wird die Fantasie vom unschlagbaren olympischen Übermenschen erfolgreicher vermarktet als in der kunstvoll mit Spitzenathleten verfilmten Illusion, dass der Kauf des richtigen Turnschuhs zum winner qualifiziert, der auf der Überholspur die lästigen loser abhängt.
Brillant hat der junge Regisseur Spike Jonze („Beeing John Malkowitch“) diese Annahme gegen den Strich inszeniert. In seinem Videoclip, der mit einer Reihe anderer Filmausschnitte und Clips zum Thema Turnschuhe in der Ausstellung zu sehen ist, trifft ein cooler Junge mit Witz und Style im Straßenverkehr ein bezauberndes Mädchen und wird beim Flirten von einem Auto erfasst. Im Schlussbild wirbelt ein Turnschuh hoch durch die Luft und landet einsam auf dem Pflaster. Das Gesicht des erschrockenen Mädchen zeigt fassungslose Verzweiflung.NIKE BREYER
„Sneakers“, bis 23. 12., Museum für Design der 60er- und 70er-Jahre, Köln, Vogteistraße 12–18, www.sneaker.de und www.popdom.de
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