: Kicken für die Tannenwälder
■ Fußball-Pokal der „Wilden Liga“ von Urdrü an FC Cosmos überreicht
Nebelschwaden zogen unlängst sanft durch den Kellerclub in der Weberstraße. Nachdem sie von 50 sportgestählten Lungen teamgeis-tig weggeblasen wurden, konnte er doch noch stattfinden: der unumstrittene Höhepunkt des Bremer Fußballjahres 2000. Der „Ligapokal“ der Wilden Liga wurde vergeben, und zwar an den FC Cosmos. Zwar dominierte auch dieses Jahr „Vibrator Moskovskaya“ die Tabelle Bayern-like. Doch im Turnier, das dem K.o.-System folgt, konnten die Moskoviter durch den FF Jauche 07 im Halbfinale niedergerungen werden – womit leider auch die letzte Insel des Weltkommunismus abgesoffen wäre. Damit aber waren die geistigen Kräfte von Jauche verschissen und Cosmos bügelte sie im Finale mit 1:6 grandios nieder.
Der Pokal wurde gespendet von Urdrü, nicht in seiner Funktion als taz-Maskottchen, sondern als Bundesbeauftragter zur Verbreitung konspirativen Chaotentums. Als Festgewand trug er ein anarchoschwarzes T-Shirt mit dem Leitspruch der Roten Zora: „Bildet Banden“. Die Sperrholzinstallation, die er pokalartig zusammennagelte, wurde von einer übereifrigen Putzfrau beseitigt in Gedenken an Beuys' entsorgte Fettecke. Deshalb erwarb Urdrü im Pokalgeschäft Waller Heerstraße/Ecke Reuterstraße einen handelsüblichen Messingpokal, der als Aschenbecher oder Suppenschüssel verwendet werden kann (am besten nicht gleichzeitig). Das Bier aber wird weiterhin aus tannengrünen Flaschen getrunken, und so wuchsen im Laufe des feuchten Abends riesige gläserne Nadelwälder auf den Tischen des Kellerclubs.
Bundeskanzler Schröder musste seine Teilnahme an den Feierlichkeiten aufgrund einer Zungenverstauchung absagen. Stattdessen kam es zur Aufführung von zwei Theaterstücken. Das erste dauerte 1 Minute 23 Sekunden und bewies unwiderlegbar, dass Hölderlins Demenz die Folge von exzessivem Kopfballen gewesen sein muss. In seiner Kürze ist das Stück von vorbildhafter Effizienz. Schließlich ist der Einsparungsgedanke seit jeher oberstes Prinzip der Wilden Liga: kein Schiedsrichter, kein Publikum, kein Training.
Der linksalternative Fußball kam in den 70er Jahren zur Welt. Derzeit gibt es in Bremen 15 Mannschaften, in Bielefeld 50, in der Provinzstadt Berlin sieben. Der Ligaspielbetrieb wurde in Bremen 1993 aufgenommen. Durch das Fehlen eines Schiedsrichters gibt es keinen, dem man etwas vormachen könnte, also auch keine Schwalben und keine verdeckten Fouls; offene dafür jede Menge. Problematisch wird es bei der Abseitsfrage. Sie kann manchmal erst nach viertelstündiger Diskussion gelöst werden – und niemals zur allgemeinen Zufriedenheit. Die Spieltermine werden Monat für Monat im Kellerclub oder telefonisch ausgehandelt. Deshalb kennen sie nur die Spieler selber, ganz exklusiv, und zum Zuschauen kommen nur die Freundinnen, und auch die nur in der ersten heißen Liebesphase. Manchmal vergisst aber auch eine Mannschaft den Termin, was der anderen die einzigartige Gelegenheit zum Trainieren gibt – wenn man schon mal da ist. Läuft eine Mannschaft mit neun, die andere mit elf Spielern auf, muss ein Spieler ausgeliehen werden, ein Gebot mathematischer Logik. Über die Loyalitätskonflikte tief drinnen in der zerrissenen Brust des Leihspielers schweigen wir hier lieber.
Frauen- und gemischtgeschlechtliche Mannschaften dürfen auch mitmachen. Tun sie aber nicht. Die einzige Mischmannschaft in der Bremer Ligageschichte verabschiedete sich nach einer Saison, weil man die kapitalistische Marktwirtschaft nicht durch den Erwerb der erforderlichen Stollenschuhe unterstützen wollte. Welch' Idyll der Redlichkeit. Doch darüber braut sich apokalyptisches Wolkengesuppe zusammen: Bundesturniere in höchster Gefahr!
Dieses Jahr sollten sie in Aachen stattfinden. Doch dann beanspruchte Ribbecks Fußballnationalmannschaft alle Aachener Plätze für ihre WM-Vorbereitungen. Welch' Hybris des Stärkeren. Sie erzürnte den Fußball-Gott so sehr, dass er die Bundeself mit Fußlähmung strafte und ihr den Engel Gabriel in Gestalt Christoph Daums vorenthielt. Im letzten Moment erklärte sich Regensburg als Austragungsort bereit, und dort siegten die virilen Bremer Vibratoren.
Zur Ausrichtung des Bundesturniers im März 2001 hat keine Mannschaft Lust. Nur die „Grünen Tulpen“ aus Berlin. Mutmaßlich handelt es sich dabei um Joschka Fischers Trainingscrew für künftige Nato-Kampfeinsätze. Um eine solche Demütigung des freien, pazifistischen Liga-Geistes zu verhindern, würde der Club aus Rinteln zur Not die Spiele ausrichten. Aber dort gibt es keine vier beieinander liegenden Fußballfelder. So könnte ein Turnier nur unter Einsatz komplizierter quantenmechanischer Protuberanzen des Raum-Zeit-Kontinuums bewerkstelligt werden, wobei der Weltuntergang nicht auszuschließen wäre. bk
Wer die Welt retten will, im Besitz von vier Fußballfeldern ist oder einfach nur mitkicken will, wende sich an Jens vom Konditionskombinat, 350 98 81.Tel.: Eine mündliche Prüfung zum Thema „Der Entfremdungsbegriff in Marx' Kapital“ entscheidet über die Zuteilung zu Club 1. FCKW, Eintracht Prügel, Elf Elfen, Randalica Steintor, Stümper, Wadenbeißer United oder Stahl Eisen usw.
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