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Wiedersehen mit dem Elch

Die Ausstellung „Democratic Design“ des Vitra Design Museums zeigt die Geschichte von 25 Jahren Ikea in Deutschland. Das Unternehmen sponsort die Show – und kritische Aspekte wie der Formaldehyd-Skandal um das Billy-Regal bleiben außen vor

Von KIRSTEN KÜPPERS

Wenn ich zu Ikea gehe, bekomme ich Depressionen. Die ausgestellten Wohnsituationen sehen auf einmal viel gemütlicher aus als das Leben zu Hause. Daheim muss offensichtlich alles umgebaut werden, denn mit Ikea-Möbeln scheinen die Tage einfacher und ordentlicher zu sein. Überfordert von vielen neuen Wünschen schleiche ich durch das Ikea-Supermarkt-Untergeschoss. Am Ende kaufe ich traurig Teelichte und ein Nudelsieb.

Das war nicht immer so. Als Kind lernte ich den Ikea-Katalog auswendig und wollte nach Schweden ziehen. Später warf ich alle Ikea-Produkte weg. Die Massenware eines Großkonzerns als Ausdruck eines bürgerlich-konformen Lebensstils lehnte ich ab. Inzwischen nehme ich den Ikea-Katalog aus dem Briefkasten wieder mit zu mir hoch.

Die Filialen des „unmöglichen Möbelhauses aus Schweden“ stehen inzwischen schon über 25 Jahre in Deutschlands Gewerbegebieten. Aus diesem Anlass hat das Vitra Design Museum gemeinsam mit Ikea die Wanderausstellung „Democratic Design“ entwickelt. Bis Anfang Januar ist sie in der kommunalen Galerie Wilmersdorf zu sehen.

„Demokratic Design“ betrachtet das Phänomen Ikea aus kulturhistorischer Sicht. Da die Ausstellung jedoch in Zusammenarbeit mit Ikea entstanden ist, darf man sich über die unkritische Präsentation nicht wundern. Nachdem der Besucher einen ausgestopften Elchkopf und eine Vitrine mit goldenen Ikea-Schraubenschlüsseln passiert hat, liest er durch eine Art Guckkastensystem, dass der schwedische Kulturraum von „langen kalten Wintern“ geprägt ist. Dazu erfährt man die Geschichte des Unternehmensgründers Ingvar Kamprad. Als er in den 50er-Jahren mit Möbelhandel begann, war skandinavisches Design zwar äußerst populär, aber sehr teuer. „Wir haben uns entschieden, auf der Seite der vielen Menschen zu sein“, sagte Kamprad und ließ helle, funktionale und schlichte Mobelstücke in Sägewerken zuschneiden. Die Holzteile wurden in Pakete verpackt und vom Kunden zu Hause zusammengebaut. So umging Kamprad den Zwischenhandel und konnte billig verkaufen. Als 1965 das erste große Möbelhaus in Stockholm aufmachte, drängelten sich monatelang Menschenschlangen vor dem Eingang. Die Mitarbeiter waren mit der Warenausgabe überfordert. Kamprad gab die Lager zur Selbstbedienung frei.

Im ersten Stock begleitet die Ausstellung Ikeas Expansion nach Deutschland. Auf Litfaßsäulen sieht man, wie der Konzern 1974 die Eröffnung des ersten Warenhauses in einer alten Halle in Eching bei München mit flotten Sprüchen und einem Elch-Logo bewarb. Ikea sprach die vom traditionellen Möbelmarkt vernachlässigte Gruppe der „jungen Leute jeden Alters“ an. Das Prinzip der Selbstbedienung war auch in der deutschen Möbelbranche neu. In einer großen durchsichtigen Kiste trifft der Ausstellungsbesucher auf alte Bekannte aus dem Ikea-Sortiment der 70er-Jahre: blaugelbe Holzclogs und die Küchenlampen aus Holzspan. Dazu läuft Musik von Abba.

Die ersten deutschen Kunden waren begeistert. Nicht nur von der lockeren Atmosphäre bei Ikea, sondern auch vom Besucherrestaurant und der Kinderbetreuung. Die Konkurrenz beschimpfte Ikea zwar als „Kistenfabrik“. Um den Kunden indes den Transport ihrer Pakete zu erleichtern, verkaufte Ikea Dachgepäckträger fürs Auto.

Mit Warenpräsentationen in durchsichtigen Kisten schickt einen die Ausstellung auch durch die Jahrzehnte. Man hört Pet-Shop-Boys am 80er-Jahre-Kasten und freut sich am Wiedersehen mit dem braunen Wolkenrollo und der Gänsetischdecke. Mit der zunehmenden Globalisierung funktionierte für Ikea das Image des „unmöglichen Möbelhauses“ bald nicht mehr. 1983 wurde der Elch als Logo abgelöst.

Äußerst knapp wird der damalige Formaldehyd-Skandal in der Ausstellung behandelt. 1988 musste Ikea das beliebte „Billy“-Regal wegen giftiger Formaldehyd-Beschichtung vom Markt nehmen. Erst seit 1992 ist Billy wieder da. Auch die seit damals bestehenden Vorwürfe, Ikea lasse mit ausbeuterischen Methoden in Billiglohnländern produzieren, finden sich in der Ausstellung nicht wieder. Die 90er-Jahre des Unternehmens präsentieren sich stattdessen als eine Ansammlung geschwungener Sitzmöbel. Die Förderung junger Designer zahlte sich für Ikea mit einer Reihe von Preisen aus.

Auch das Ende der Ausstellung, das zeigen soll, wie die Welt ohne Ikea aussähe, ist großspurig geraten. Die Macher haben einen röhrenden Hirsch im Goldrahmen aufgehängt. Zwar hat Ikea mit seinen Produkten und der jährlichen Versendung des Ikea-Katalogs an 90 Millionen Haushalte sicherlich weltweit Standards für privates Wohnen verändert. Doch längst bedeuten Ikea-Möbel nicht den Abschied von Spießigkeit. Das weiß man gerade nach 25 Jahren eigener Ikea-Biografie.

„Democratic Design“ bis 7. 1. 2001 in der Kommunalen Galerie Wilmersdorf, Hohenzollerndamm 176, 10713 Berlin

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