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Wenn Jesus wiederkehrt ...

... will der scheidende Präsident von Ghana, Jerry Rawlings, eine andere Partei als seinen „Neuen Demokratischen Kongress“ an die Macht lassen

aus Accra HAKEEM JIMO

In Ghana zeigen in diesen Tagen viele Daumen nach unten. „Asie-Ho“ rufen Anhänger der stärksten Oppositionspartei, wenn sie durch die Straßen ziehen, und recken den Daumen zum Boden. „Ganz nach unten“ heißt ihr Motto auf Twi, der Sprache der Ashanti-Volksgruppe, bevor am heutigen Donnerstag das ghanaische Volk einen neuen Präsidenten wählt. Aber Parteigänger der oppositionellen „Neuen Patriotischen Front“, NPP, und ihres Spitzenkandidaten John Kufuor bewerten mit dieser Geste nicht zuerst die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes oder die nun zu Ende gehende, nahezu 20-jährige Herrschaft von Präsident Jerry Rawlings. Sie sagen ihren Mitbürgern einfach, wo sie ihre Kreuzchen auf den Wahlzetteln zeichnen sollen. Denn die Wahlkommission hat ihre Partei, die die wichtigste Herausforderin der Regierung ist, an letzter Stelle auf den Stimmzettel gesetzt.

Rawlings will weiter am Kabinettstisch sitzen

Diese Formalitäten werden in dem westafrikanischen Land vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sehr ernst genommen – zumal immer noch 35 Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind: Man muss den Wählern ganz genau sagen, was sie zu tun haben. Auch der verfassungsgemäß nicht mehr zur Wahl stehende Präsident Jerry Rawlings, mit schottischem Vater und ghanaischer Mutter, hat den Wählern im Land eingebleut, für seinen voll-ghanaischen Vize und Wunschnachfolger John Atta Mills zu stimmen.

Im gegenwärtigen Wahlkampf ist Rawlings aktiv beteiligt. Manche sagen, sein Vizepräsident Mills schaffe es nie, aus seinem Schatten zu treten. Der abtretende Präsident will auch zukünftig an den Kabinettsitzungen teilnehmen. Jerry John Rawlings oder J. J., wie er im Land genannt wird, hat Ghana zweimal geführt. Zum ersten Mal putschte der Fliegerleutnant 1979 und ließ drei seiner Vorgänger am Strand des Atlantischen Ozeans hinrichten. Zudem wurden alle korrupten Beamten und Militärs enteignet. J. J. war glühender Revolutionär und wollte sein Land in eine sozialistische Zukunft führen. Der damals 32-Jährige fuhr in die Dörfer, wo die Mehrheit des Volkes lebt, und hörte den Bauern zu. Aber der groß gewachsene Jerry Rawlings war anders als die meisten afrikanischen Militärherrscher: Er übergab dem Zivilisten Hilla Limann die Macht. Allerdings nur für kurze Zeit – denn 1981 wurde es dem Exputschisten, der seinen Ministern nur Peugeots als Dienstwagen erlaubte, mit der Korruption in der Regierung wieder zu viel und er putschte ein zweites Mal. Die meisten Ghanaer befürworteten auch dieses Mal sein Handeln. Vor allem auf dem Land erfreut sich Rawlings einer großen Anhängerschaft. Strom- und Wasserversorgung sowie das wachsende Straßennetz werden ihm und seiner Partei „Neuer Demokratischer Kongress“ gutgeschrieben, mit der er seit 1992 bei zwei Wahlen antrat. „Ich kann mich noch an die Zeiten erinnern, als die Preise unablässig stiegen, unglaubliche Besteuerung auf allen Produkten lag und alles außer Landes geschmuggelt wurde. Als dann Rawlings kam, hat er sofort die Lebensmittelpreise festgesetzt“, sagt Kofi Minta, heute Geschäftsmann.

Alles wurde außer Landes geschmuggelt

Aber für die damaligen Geschäftsleute war Rawlings Politik ruinös. Bald gab es gar nichts mehr in den Regalen. Die Folge war ein erstes Abwandern der Bevölkerung ins Ausland. Hamburg beheimatet heute eine der größten Ansiedlungen von Ghanaern außerhalb des Heimatlandes. Die Kritik an Rawlings Politik ist seitdem nicht verstummt. Es wird zwar anerkannt, dass er seit seiner Regierungsübernahme Anfang der 80er-Jahre das Land politisch stabil gemacht hat – umgeben von Unruheherden wie Sierra Leone, Liberia und neuerdings auch der Elfenbeinküste. Auch sind einige seiner wirtschaftlichen Erfolge wenig umstritten. Ghana gilt nach dem kurzen Flirt Rawlings mit dem Sozialismus nun bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds als Musterknabe aufgrund der für das Volk zwar schmerzhaften, aber angenommenen Strukturanpassungsmaßnahmen. Nachdem der Revolutionär früher die Gesellschaft des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi suchte, empfing er in späteren Jahren lieber US-Präsident Bill Clinton und die Queen der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien. Rawlings Worte und Taten stimmten nicht immer überein: Er beschwerte sich über Gerichte und andere staatliche Institutionen, trug aber wie kaum ein anderer afrikanischer Staatschef zu deren Aufbau bei. Rawlings machte nie einen Hehl aus seiner Ablehnung gegenüber anderen Parteien, ließ sie aber als Erster zu. Er hat einen autoritären Stil, aber die Ghanaer schätzen ihre von Rawlings initiierte liberale Verfassung.

Dennoch vermissten immer mehr Bürger in den vergangenen Jahren die Entscheidungskraft Rawlings. Vor allem junge Ghanaer wurden ungeduldig. Rawlings erkannte nicht den Reformbedarf im Gesundheits- und Ausbildungswesen. In den 60er-Jahren war Ghana noch weiter entwickelt als Südkorea. In den vergangenen Jahren geriet die Wirtschaft des Landes immer tiefer in der Krise. Zunehmende Korruptionsvorwürfe trafen den öffentlichen und privaten Sektor auch unter Rawlings Federführung. Unter den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen litten vor allem die Menschen in den Städten – auch wenn Statistiker des IWF und der Weltbank immer von mindestens vier Prozent Wachstum sprachen.

„Ich verkaufe hier Plastiktaschen und Steckdosen. Ich habe versucht, eine andere Arbeit zu finden. Aber als ich als bei Job-Gesprächen sagte, ich hätte nur eine abgeschlossene Schulausbildung, lachten die nur“, sagt Nanayaw Dwamena. Der 23-Jährige hat wie hunderte anderer Kollegen an diesem Morgen seine Holzkiste mit Waren auf den Bürgersteig neben dem offenen Abwasserkanal gestellt und baut seinen Stand auf. Von Zeit zu Zeit wischt er mit einem Tuch den sich dauernd niederlegenden Staub und Ruß der zumeist altersschwachen Autos von den Verpackungen. Seit er 16 Jahre alt ist, verkauft er hier auf der Straße allerlei Krimskrams hauptsächlich aus China – an der Pagan Road im Herzen von Accra, der Hauptstadt. Hier in der Innenstadt prallen alle Volksgruppen und Kulturen Ghanas aufeinader. Ewe aus der Volta-Region, Ga aus Accra, Ashanti aus dem Zentrum des Landes, Fanti, Hausa, Mosi-Dagomba, Mande und andere. Es sei gerade eine gute Zeit zum Verkaufen. Nicht wegen der Wahlen, sondern weil man während der Vorweihnachtszeit nicht von Polizisten verhaftet und zu Schmiergeldern gezwungen würde, sagt er. Eigentlich ist der Straßenhandel verboten.

Die überall sitzenden, rennenden oder stehenden Händler lassen sich weder durch Weihnachten noch durch Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von ihrem Broterwerb abhalten. Wahlkampf ist nur dann, wenn eine Wagenkolonne von einer der beiden großen Parteien durch die Straßen jagt, beladen mit Jugendlichen, die grölen, als hätte Ghana die Fußballweltmeisterschaft gewonnen. Ansonsten hängen an den wenigen freien Flächen der Häuser und an Laternenpfählen vereinzelt kleine Wahlplakate. Nur im Radio und in den Zeitungen ist der Wahlkampf allgegenwärtig. Aber die Menschen sind nicht demokratiemüde geworden. „Man sagt, meine Stimme ist meine Macht. Und ich wähle wieder NPP, weil Rawlings uns nur leere Versprechungen gegeben hat. Alles wird teurer. Es geht nichts voran. Es wird sogar immer schlimmer“, sagt Nanayaw. Er versucht, einen Gewinn von 2.000 Cedi (ungefähr 70 Pfennig) pro verkaufte Plastiktasche zu erhandeln. Aber auch seine Kunden feilschen hart.

Zwar herrscht Frieden – aber niemand hat Arbeit

Die ghanaische Währung hat in den vergangenen zwölf Monaten mehr als die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar eingebüßt. Die beiden wichtigsten Exportgüter des Landes, Gold und Kakao, haben in den vergangenen Jahren Rekordpreisverfälle hinnehmen müssen. Dazu kommen noch die zusätzlichen Kosten für den teurer gewordenen, importierten Treibstoff. Aber die Jugendlichen interessiert, warum es für sie keine Perspektive gibt – nicht die Gründe, die sie seit Jahren zu hören bekommen. „Ich würde gerne wieder zur Schule gehen – aber mit dem, was ich hier verdiene, kann ich nicht einmal eine Freundin einladen. Und heiraten sowieso nicht“, sagt Nanayaw Dwamena.

Neben seinem Stand hat eine Frau ihren Klapptisch aufgeschlagen. Sie verkauft Babywindeln und Taschentücher. Sie trägt einen imitierten Strohhut aus Plastik mit Schleifchen und ein T-Shirt der Regierungspartei NDC. „Ich wähle Rawlings Partei, weil sie uns die ganze Zeit Frieden und Sicherheit gebracht hat“, sagt Maateko Ayee. Aber damit ist ihr Nachbar nur teilweise einverstanden. „Von welchem Friedem redest du, wenn keiner Arbeit hat. Wir brauchen einen Wechsel. Du wählst nur nicht NPP, weil du immer noch denkst, dass die aus der Ashanti-Region kommen“, entgegnet ihr Nanayaw. „Was erwartest du?“, fragt die 25-jährige verheiratete Frau, „dass irgendeine Partei dir deine Schüssel Reis bringt?“ „Ich arbeite genauso hart wie du“, sagt Nanayaw. In wenigen Augenblicken hat sich eine Menschentraube um die beiden gebildet und diskutiert mit. „Asie-Ho“ rufen einige hier und da – und die Antwort, die sie bekommt, ist „J. J.“ oder „NDC“. In einem sind sich aber anscheinend alle einig: Mit anderen Mitteln als der Wahl um den Sieg kämpfen will hier keiner. Rawlings markige Sprüche zu den Wahlen lässt man einfach so stehen: „Meine Partei wird erst von der Regierung abtreten, wenn Jesus zum zweiten Mal kommt.“ Aber bei Rawlings weiß man nie, ob er es nicht doch ernst meint. Noch im November ließ er ein Manöver abhalten: Operation starker König. Soldaten übten, wie man Radiostationen und andere wichtige Zentren von politischen Abweichlern übernimmt.

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