: He Does Everything He Can
Trainer Armin Veh schreibt mit dem SSV Reutlingen die aktuelle Aschenputtel-Geschichte der zweiten Fußball-Bundesliga. Perspektivisch soll der Aufschwung dereinst sogar in Liga eins fortgesetzt werden
aus Reutlingen THOMAS DE MARCO
Als Armin Veh Anfang der 80er-Jahre bei Borussia Mönchengladbach Profi wurde, hätte aus dem Augsburger ein überdurchschnittlicher Bundesliga-Fußballer werden könnte. „Ich hatte sehr viel Talent“, sagt Veh. Doch weil er dieses Talent verschleudert habe, kam er nur auf 65 Erstligaspiele und zur Erkenntnis, dass er es als Trainer besser machen will. Nach dem Zweitliga-Aufstieg mit Greuther Fürth brachte er nun den SSV Reutlingen in die zweite Liga und steht mit den Schwaben zurzeit sogar auf Platz drei. Heute Abend will man sich im schwäbischen Derby gegen den SSV Ulm oben festsetzen. Ausgerechnet gegen Ulm, deren eigener Höhenflug sie erst vor zwei Jahren bis in die Bundesliga führte.
Reutlingen, 1974 und 1997 immerhin deutscher Amateurmeister, stand noch vor drei Jahren kurz vor dem Gang zum Amtsgericht: Der Verein war so gut wie pleite, und der damalige Präsident Hermann Schaufler fuhr sogar seine Karriere als baden-württembergischer Verkehrsminister gegen die Wand, weil er für den SSV 45.000 Mark an Spenden bei einem landeseigenen Unternehmen lockergemacht hatte. Derzeit muss sich Schaufler deshalb wegen Untreue vor Gericht verantworten.
Schaufler konnte damals noch den Reutlinger Unternehmer Dieter Winko überreden, beim SSV als Manager und Geldgeber einzusteigen. Dessen erste Amtshandlung war ein Glücksgriff: Er holte Trainer Veh, der ein Jahr später den SSV nach 25 Jahren Abstinenz zurück in die zweite Liga führte in einer Saison der Superlative: Mit 28 Siegen, 87 Punkten und 102 Toren brach Reutlingen in der Regionalliga alle Rekorde.
Und nun stürmt der SSV mit seinem Offensiv-Fußball auch die zweite Liga: Reutlingen hat bisher die zweitmeisten Tore (36) erzielt, Olivier Djappa aus Kamerun führt die Torjägerliste mit elf Treffern an. Beim 8 : 2 über Saarbrücken hat man gesehen, was Veh unter „Wir können gar nicht hinten reinstehen“ versteht.
Wie gut die Reutlinger Kurzpass-Künstler in der zweiten Liga zurechtkommen, überrascht freilich auch den 39-Jährigen Veh. Wer allerdings Ärger mit ihm bekommen will, muss nur fragen, wann er denn mal im Fernsehen an der Tafel über Offensiv-Fußball doziert wie seinerzeit Ralf Rangnick im ZDF. Veh predigt seinen Spielern lieber: „Ein guter Spieler grätscht nicht“ – und fährt dazwischen, wenn er gefragt wird, ob der SSV nun wie Ulm in die erste Liga stürme. „Ulm war ein einmaliges Märchen. Wir bleiben auf dem Teppich und wollen den Abstand zum Keller so groß wie möglich halten“, sagt Veh.
Bescheidenheit lebt er selbst vor. Veh hatte schon mehrfach Gelegenheit, lukrativere Aufgaben zu übernehmen: Dynamo Dresden wollte mit ihm wieder nach oben und auch sein Exklub Mönchengladbach lockte ihn vergangene Saison. „Aber er hat Wort gehalten und uns nicht im Stich gelassen“, freut sich Winko, mittlerweile Präsident beim SSV. Veh verlängerte sogar vorzeitig bis 2002 und verzichtete auf eine Ausstiegsklausel. „Ich will hier in Ruhe etwas aufbauen“, sagt er.
Veh legt größten Wert darauf, junge Spieler zu fördern. Reutlingens Abwehr dirigiert der 19-jährige U-20-Nationalspieler Denis Lapaczinski, der nebenher in der Abendschule für das Abitur büffelt. Auf Rechtsaußen zählt der 24-jährige Stefan Lexa zu den Effektivsten. Beide werden aber wie auch der 21-jährige Stürmer Jan Hoffmann intensiv von Erstligisten beobachtet. „Das ist ja der Aberwitz, dass einem die jungen Spieler weggeholt werden. Und wenn die Verträge auslaufen, kriegt der Verein nicht mal Geld für sie“, ärgert sich Veh.
Mit einem Etat von 9 Millionen Mark gehört Reutlingen zu den Kleinbetrieben der zweiten Liga. Da ist es für Veh schon eine Genugtuung, Klubs hinter sich zu wissen, die weit mehr Geld investieren. Irgendwann will er allerdings in die erste Liga zurück. Sein Präsident Winko hofft, dass Veh auch dann noch in Reutlingen auf der Bank sitzt. Schließlich will Winko in spätestens drei Jahren mit dem SSV erstklassig sein. Veh sagt dazu nur: „Ich weiß, dass ich am 1. Juli in der ersten Liga anfange. Ich weiß nur nicht, in welchem Jahr!“
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